Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
Kapitel 1
wir erfahren hier, dass Obst nicht immer gesund ist, sondern einen sogar in große Verlegenheit bringen kann
Ein neuer Tag über Tharsya. Kaum ein Wölkchen, das den Himmel zu trüben vermochte. Die Sonne kletterte gutgelaunt und ausgeschlafen über den Horizont, sah sich zufrieden um, ließ es erst mal langsam angehen. Schließlich hatte sie sich soweit vorgeleuchtet, dass sie auf einen ganz bestimmten Erdhügel schien – Lumiggls Wohnstatt, Heimat und Eigentum.
Lumiggl wohnte unter einem Dach aus Riedgras. Genauer gesagt wuchs es oben auf seinem Dach. Nur damit wir uns richtig verstehen: Es war nicht sorgfältig geerntet, zurechtgeschnitten und nach allen Regeln des Regenschutzes kreuz und quer und übereinander geschachtelt wie es sich für ein echtes Hüttendach gehörte. Lumiggls Hütte war keine Hütte, sein Dach also auch kein Dach, und eigentlich wohnte er in einer Höhle, bei der obendrauf eben Riedgras wucherte.
Jetzt am Morgen schlief Lumiggl noch in seiner Höhle, selig und auf einem Lager aus Heu und Blättern.
Dort fand ihn endlich ein Sonnenstrahl, der sich, ganz der Sohn seiner Mutter, einen Spaß daraus machte, ihn ausgiebig an und in der Nase zu kitzeln. Und davon wachte Lumiggl schließlich auch auf. Missmutig blinzelte er in den rotzfrechen Sonnenstrahl, der sich nichts drum scherte und einfach ein klein wenig auf der Bettdecke abrückte und dort weiter Unfug trieb. Das besserte Lumiggls Laune kein bisschen. Womblinge gehören nicht zu den Frühaufstehern. Und wenn sie dann aufstehen, sind sie erst einmal brummig und wortkarg. Kein Wombling, der auf sich hält, macht da eine Ausnahme. Nun hielt Lumiggl erstens auf sich und zweitens hasste er es aus ganzem Herzen, aus den schönsten Träumen, die sich ja bekanntlich immer morgens einstellen, gerissen zu werden. Obendrein stammte er aus dem Geschlecht derer von Farnwedel. Bei denen lag es sozusagen in der Familie, kleinwüchsig zu sein – sogar für Womblingverhältnisse. Zum Ausgleich gab es bei ihnen besonders viele Langschläfer.
Lumiggl Farnwedel (1) brummelte also ein Weilchen vor sich hin und erwog sogar, sich noch mal hinzulegen und zu versuchen, weiter zu träumen.
Aber schließlich tat er die Idee mit einem Achselzucken ab. Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass so etwas nicht funktionierte. Meistens stellte sich statt des Endes des ersten Traumes ein neuer Traum ein und dann kam irgend etwas dazwischen und man konnte den auch nicht zu Ende träumen und war noch schlechter dran als vorher, als man nur einen Traum hatte, von dem man nicht wusste, wie er ausging. Lumiggl kam zu dem Schluss, dass es am besten wäre, aufzustehen. Eigentlich hatte er ja sowieso etwas vor und konnte es sich nicht leisten, gerade an diesem Tag zu verschlafen. Er streckte sich genüsslich, gähnte ausgiebig und rieb sich den letzten Schlummer aus den Augen. Nach einer gründlichen Wäsche am Regenwasserbottich auf der anderen Seite des Zimmers, ging er zu seiner Kleidertruhe und holte vorsichtig, ja geradezu andächtig sein neues Hemd hervor. Stolz hielt er es mit ausgestreckten Armen in die Höhe, um es zu bewundern. Was für ein Wunder der Schneiderkunst. Strahlender, gebleichter Nesselstoff, dicht und weich zugleich, doppelte Nähte, vorteilhaft tailliert, maßgeschneidert, ein faltenloses Anschmiegen und das Schönste – natürlich – am ganzen Hemd: Farnwedelstickereien auf Kragen, Manschetten und Brusttasche appliziert.
Und heute war der große Tag, die Feuertaufe für sein neues, sündhaft teures Hemd, heute sollte sich zeigen, ob es sich alles gelohnt hatte.
Ganz, ganz vorsichtig und mit Bedacht schlüpfte Lumiggl in sein Hemd. Und erst als das saß, folgten die moosfarbene Hose – frisch gewaschen und gebügelt – und die braunen Lederstiefel, die so gestriegelt waren, dass es einen blendete. Jetzt fehlten nur noch sein Gürtel mit der Silberschnalle und der Paradierdolch aus reinem, kaltgeschmiedeten, handgehämmerten Kupfer (2) . Zum Schluss brachte Lumiggl noch sein dunkles Haar in Ordnung, indem er es mit den Fingern hinter die spitzen Ohren strich. Voll Wohlgefallen fiel sein Blick auf das Spiegelbild im mannshohen Kupferschild, der noch aus den Zeiten seines Urgroßvaters stammte.
Sollte er den vielleicht auch noch mitnehmen? Vielleicht ja, schließlich erinnerte er an eine Zeit als seine Vorfahren und ein paar andere Völker in glorreichem Kampf die Freiheit von Tharsya verteidigten. Dann aber wieder vielleicht besser nicht,
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