Glücklich die Glücklichen
doch. Die benutze ich, wenn ich Sachen zu transportieren habe. Wirf sie nicht weg. – Maman, mische ich mich ein, in dieser Tasche war jetzt Papas Asche, einen anderen Zweck hat sie nicht mehr. – Das ist völlig idiotisch, sagt Maman, in dieser Tasche haben wir ein Gefäß transportiert, und basta. Robert, bitte hol diese bescheuerte Urne da raus, wirf sie weg und gib mir die Tasche zurück. – Diese Tasche ist zehn Euro wert, Maman ! – Ich will diese Tasche wiederhaben. – Warum ? – Weil ! Ich war schon dämlich genug, mit hierherzukommen, jetzt will ich auch mal was entscheiden. Dein Vater ist in seinem Fluss, alles ist perfekt, und ich fahre mit meiner Tasche nach Paris zurück. Gib mir die Tasche, Robert. Robert hat die Tasche ausgeleert und hält sie Maman hin. Ich reiße sie ihm aus der Hand, Maman, ich bitte dich, das ist grotesk. Sie klammert sich an den Griff und jammert, das ist meine Tasche, Odile ! Ich schreie, dieses Scheißding bleibt in Guernonzé ! Ich stopfe sie in den Mülleimer an der Mauer. Ein hemmungsloses, herzzerreißendes Schluchzen ist zu hören. Marguerite hat die Hände und das Gesicht zum Himmel erhoben wie eine Pietà. Jetzt fange ich auch an zu weinen. – Das haben wir jetzt davon, na bravo, sagt Maman. Robert versucht sie zu beruhigen und von dem Mülleimer wegzubringen. Sie wehrt sich ein bisschen, dann lässt sie sich, an seinem Arm hängend, dazu bringen, den schmalen Bürgersteig zurückzugehen, fast taumelnd, ihr Körper schleift fast an der Steinmauer entlang. Ich sehe ihnen nach, ihm mit seinen zu langen Haaren und dem zerknitterten Jackenrücken, Hannibal, der aus der Jackentasche ragt, sie mit ihren flachen Schuhen, dem Rock, der unter dem Mantel hervorlugt, und mir geht durch den Kopf, dass Robert der Verwaistere von ihnen beiden ist. Marguerite putzt sich die Nase. Sie gehört noch zu den Frauen, die sich ein Stofftaschentuch in den Ärmel stecken, allzeit bereit. Ich umarme sie. Ich ergreife ihre Hand. Ihre warmen Finger umfassen meine Handfläche und drücken sie. Einige Meter hinter Robert und Maman gehen wir den Bürgersteig wieder hoch. Am Ende der Straße, vor dem Bahnhofsparkplatz, bleibt Marguerite vor einem niedrigen Haus stehen, dessen Öffnungen von roten Backsteinen eingefasst sind. Sie sagt, hier hat Ernest bei den Dreharbeiten zu Schienenschlacht mitgemacht. – Hier ? – Ja. Das haben mir die Großeltern erzählt. Ich war noch nicht auf der Welt. Er hatte sich da zwischen die Statisten gestellt, vor ein Bistro, das es nicht mehr gibt. Sie filmten einen Heukarren. Ernest stand direkt dahinter, er dachte, man würde zumindest seine Beine sehen. Inzwischen haben wir Robert und Maman an der Kreuzung eingeholt. – Er hat den Film fünf- oder sechsmal gesehen. Sogar als alter Mann, das kannst du bezeugen, Jeannette, hat er ihn sich noch einmal im Fernsehen angeschaut, in der Hoffnung, er würde seine siebenjährigen Beine sehen.
Jean Ehrenfried
»Vor ein paar Jahren, weißt du noch, Ernest, bevor du Plou-Gouzan L’Ic verkauft hast, da waren wir beide angeln. Du hattest eine Angelausrüstung gekauft, die du noch nie benutzt hattest, und wir zogen los, Forellen zu fangen oder Karpfen oder irgendeinen anderen Süßwasserfisch aus einem Fluss nicht weit von deinem Haus. Auf dem Pfad dorthin waren wir absurd glücklich. Ich hatte noch nie geangelt, du auch nicht, du hattest höchstens irgendwelche Muscheln am Meer gesammelt. Nach einer halben Stunde, vielleicht noch eher, biss etwas an. Du fingst an zu ziehen, irrsinnig glücklich – ich glaube sogar, ich half dir dabei –, und dann sahen wir am Ende der Angelschnur einen kleinen verschreckten Fisch zappeln. Das verschreckte wiederum uns, Ernest, du sagtest, was machen wir denn da, was machen wir nur ? Ich schrie, lass ihn wieder frei, lass ihn frei ! Es gelang dir, ihn loszumachen und wieder ins Wasser zu werfen. Umgehend packten wir alles zusammen. Auf dem Rückweg fiel kein Wort, wir waren ziemlich bedrückt. Und plötzlich bliebst du stehen und sagtest: Zwei Titanen.«
Über die Autorin/die Übersetzer
Yasmina Reza ist Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin und die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin. Bei Hanser erschienen die Romane
Eine Verzweiflung
(2001) und
Adam Haberberg
(2005) sowie
Im Schlitten Arthur Schopenhauers
(2006),
Frühmorgens, abends oder nachts
(2008) über Nicolas Sarkozy und
Nirgendwo
(2012). 2011 wurde ihr Stück
Der Gott des Gemetzels
von
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