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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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war der Adrenalinrausch.
    »Mir wird schlecht«, sagte Mum. »Im Ernst. IM ERNST. «
    Der tiefe, klagende Ton eines Cellos ertönte durch die Lautsprecher. Die Böden, die Wände, die Decke – alles schien mit dem Ton zu vibrieren. Das Kreischen wurde noch intensiver, ein einzelner Scheinwerfer schaltete sich an, und in den Lichtkegel trat … John Joseph.
    » JOHN JOSEPH, JOHN JOSPEH, JOHN JOSEPH! « Mum brüllte und kreischte und wedelte mit den Armen in der Luft. » WIR SIND HIER. WIR SIND HIER. WIR SIND HIER! «
    John Joseph, in einem schlicht geschnittenen schwarzen Anzug, stand mit gesenktem Kopf und rührte sich nicht.
    Der tiefe, dumpfe Celloton hielt an, und nach einigen Sekunden, während die Menschen die Luft anhielten, ohne es zu merken, ging ein zweiter Scheinwerfer an, und in den Lichtkegel trat … Frankie.
    » FRANKIE! FRANKIE! FRANKIE! «
    In den Reihen unter uns weinten die Menschen hemmungslos.
    Frankie nahm dieselbe Haltung an wie John Joseph, auch er stand still wie eine Statue, den Kopf gesenkt.
    »Wer ist der Nächste? Wer ist der Nächste? Wer ist der Nächste?«
    Die Zuschauer verstummten, nur noch das Cello war zu hören, und es wurde so still in der Halle, dass ich tatsächlich das Klicken hörte, als der nächste Scheinwerfer angeschaltet wurde. Und in den Lichtkegel trat … Roger.
    »Das ist ROGER .« Die Menschen brüllten sich das gegenseitig zu. » ROGAAAIIIRR. ROGAAAIIIRR. «
    Auch Roger stand mit gesenktem Kopf still da. Allmählich verebbte das Gebrüll, und während das Cello weiter die dumpfen Töne spielte, baute sich eine schier unerträgliche Spannung auf.
    Als das Klicken des Scheinwerfers endlich kam, atmeten alle Zuschauer gemeinsam auf. » JETZT KOMMT WAYNEWAYNEWAYNE! «
    Und in den Lichtkegel trat … Docker.
    Das Kreischen wurde vor Verwirrung leiser. »Das ist gar nicht Wayne. Das ist gar nicht Wayne. Das ist gar nicht Wayne.«
    Und dann, als die Menschen begriffen, was geschah, stieg das Kreischen wieder an und wurde noch lauter und schriller.
    Mum drehte sich zu mir um und brüllte mir ins Gesicht: »Es ist Docker. Es ist Docker. Es ist Docker, VERDAMMT .« Sie hatte den Mund so weit aufgerissen, dass ich ihre Mandeln sehen konnte.
    Einen winzigen Moment lang dachten die Zuschauer: »Sie s ind alle wieder zusammen, alle FÜNF .«
    Dann gingen alle Scheinwerfer an, bunte, blendende Far ben, die Musik explodierte in ohrenbetäubender Lautstärke, und die vier Männer spielten »Indian Summer«, ein munteres, schnelles Stück und einer der größten Laddz-Hits.
    Plötzlich fingen alle an zu tanzen. Blaue und rosa Laserstrahlen strichen über das Publikum, die Atmosphäre war wie verwandelt, fast war es wie ein religiöses Erlebnis. Alles war dermaßen überwältigend, dass niemand der Tatsache, dass Wayne nicht da war, dafür aber Docker, weiter Beachtung zu schenken schien.
    Nach »Indian Summer« ging es weiter mit »Throb«, auch das eine Tanznummer, dann kam »Heaven’s Door«. Wahrscheinlich war ich von fünfzehntausend Zuschauern die Einzige, die bemerkte, dass Docker nicht so elegant tanzte wie die anderen, dass er eine Winzigkeit hinterher war und manchmal eine Drehung vergaß. Aber nie vergaß er zu lächeln, das musste man ihm lassen.
    Nach der vierten Tanznummer machten sie eine Pause. »Hallo, Dublin!«
    »Wie ihr seht, kann Wayne heute Abend nicht dabei sein«, sagte John Joseph.
    »Er lässt alle herzlich grüßen«, sagte Roger.
    »Und ich hoffe, ich bin ein würdiger Ersatz«, sagte Docker. »Das nächste Stück ist für Wayne.«

Sechs Monate später

A uf dem Parkplatz hinter dem Gemeindesaal herrschte geschäftiges Treiben. Weihnachtsbäume wurden in Maschen draht eingewickelt und in Kofferräume geladen, Geld wechselte in raschem Tempo von einer Hand zur anderen.
    Die Halle selbst war mit Lametta geschmückt, das büschel weise mit Klebeband an den Wänden befestigt war. Weihnachtslieder erklangen, aber zum Glück waren die Lautsprecher so alt und knisterten so laut, dass man die Musik kaum hören konnte.
    Es gab die üblichen Stände mit ihren verlockenden Waren. Ich blieb bei der Tombola stehen, staunte über die Erbärmlichkeit der Preise – eine kleine Flasche Sprite light, eine Schachtel Panadol, eine Dose Kidneybohnen – und kaufte ein paar Lose. Warum auch nicht?
    Die Frau an dem Tisch mit den Strickwaren saß auf einem hohen Stuhl und hatte ihr Reich fest im Blick. Sie strickte mit geballter, kaum unterdrückter Wut, und zornige Funken

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