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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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M ir kann es ja egal sein – ich meine, wenn das keine Ironie ist! –, aber ich bin weit und breit die Einzige, die nicht der Meinung ist, es wäre einfach göttlich, sich »irgendwo« einweisen zu lassen, um einmal »zur Ruhe zu kommen«. Man sollte mal meine Schwester Claire hören, wie sie darüber redet – als würde es sich um die erfreulichste Erfahrung der Welt handeln, eines Morgens in einer psychiatrischen Klinik aufzuwachen.
    »Ich habe eine tolle Idee«, sagte sie zu ihrer Freundin Judy. »Wir kriegen beide zur gleichen Zeit einen Nervenzusammenbruch.«
    »Fantastisch«, sagte Judy.
    »Wir nehmen uns ein Doppelzimmer. Das wird herrlich.«
    »Erzähl mir, wie es sein wird.«
    »Alsoooo: freundliche Menschen … weiche, zarte Hände … sanft murmelnde Stimmen … weiße Bettwäsche … weiße Sofas … weiße Orchideen … alles in Weiß …«
    »Wie im Himmel«, sagte Judy.
    »Genau, wie im Himmel!«
    Kein bisschen wie im Himmel, wollte ich protestierend dazwischenfahren, aber sie ließen sich nicht beirren.
    »… sanft plätscherndes Wasser …«
    »… süß duftender Jasmin …«
    »… irgendwo eine tickende Uhr …«
    »… ein helles Glockenläuten …«
    »… und wir liegen im Bett, zugedröhnt mit Xanax …«
    »… und blicken verträumt den Staubkörnchen nach …«
    »… oder lesen Grazia …«
    »… oder kaufen uns ein Magnum Gold von dem Eismann, der von Station zu Station geht …«
    Aber es gibt dort keinen Eismann, der Magnum Gold verkauft! Und auch nicht die ganzen anderen netten Dinge.
    »Und eine weise Stimme würde sagen …« Judy machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »›Wirf deine Bürde ab, Judy.‹«
    »Und eine bezaubernde Krankenschwester würde leise vorbeischweben und alle deine Termine absagen«, sagte Claire. »Sie würde alle auffordern, uns in Ruhe zu lassen, und den undankbaren Mistkerlen würde sie sagen, es sei ihre Schuld, dass wir einen Nervenzusammenbruch haben, und sie müssten sehr viel liebevoller mit uns umgehen, falls wir jemals wieder rauskommen.«
    Sowohl Claire als auch Judy hatten enorm vollgepackte Leben: Kinder, Hunde, Ehemänner, Berufe und die schwierige und zeitaufwendige – selbst gestellte – Aufgabe, zehn Jahre jünger auszusehen, als sie waren. Unablässig fuhren sie mit ihren Kleinbussen durch die Gegend, brachten Söhne zum Rugby-Training, holten Töchter vom Zahnarzt ab, rasten quer durch die Stadt von einem Termin zum anderen. Sie hatten das Multitasking zu einer Kunstform entwickelt: Die wenigen Sekunden an einer roten Ampel nutzten sie, um sich die Waden mit Bräunungscreme einzureiben, im Kino beantworteten sie während des Vorspanns ihre E-Mails, und um Mitternacht backten sie weiche rote Muffins und ließen sich gleichzeitig von ihren halbwüchsigen Töchtern als »fette Kuh« verspotten. Keine Minute wurde verschwendet.
    »Wir kriegen bestimmt Xanax.« Claire gab sich weiter ihren Träumereien hin.
    »Oh, wie schön.«
    »So viel wir wollen. Sobald der Glückszustand nachlässt, läuten wir, und dann kommt eine Krankenschwester und gibt uns einen Nachschlag.«
    »Und wir müssen uns nie anziehen. Jeden Morgen bringen sie uns einen frischen Baumwollschlafanzug, ganz neu, direkt aus der Packung. Und wir schlafen sechzehn Stunden am Tag.«
    »Ach, schlafen …«
    »Es wird sich anfühlen, als wären wir in ein großes Marsh mallow gebettet und schwebten glücklich dahin …«
    Es war höchste Zeit, den großen Irrtum in ihren köstli chen Träumereien aufzudecken. »Aber ihr wärt in einer psych ia trischen Klinik.«
    Claire und Judy sahen verstört auf.
    Dann sagte Claire: »Ich spreche nicht von einer psychiatrischen Klinik. Ich spreche von einem Ort, wo man … zur Ruhe kommen kann.«
    »Der Ort, wo Leute hingehen, um zur Ruhe zu kommen, ist aber eine psychiatrische Klinik.«
    Sie schwiegen. Judy biss sich auf die Unterlippe. Offensichtlich dachten sie darüber nach.
    »Was dachtet ihr denn, wo man hingehen kann?«, fragte ich.
    »Na ja … in so eine Art Kurhotel«, sagte Claire. »Wo man, also, wo man diese Pillen verschrieben bekommt.«
    »Da sind Verrückte drin«, sagte ich. »Echt Verrückte. Total Kranke.«
    Wieder schwiegen sie, dann sah Claire mich an, ihr Gesicht war rot angelaufen. »Mein Gott, Helen«, rief sie aus. »Du bist so gemein. Kannst du uns nicht einmal was Nettes gönnen?«

Donnerstag

1
    I ch dachte ans Essen. Immer, wenn ich im Verkehr stecke, denke ich ans Essen. Das macht jeder normale

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