Glühende Lust
schweißnassen Strähnen aus der Stirn. Merit rieb sich über die Augen. Alles war, wie es sein sollte: die kleine Kajüte, die Unterlage nur ein schmales Bett, und ihren Leib bedeckte ein leinenes Gewand. »O Sobek, was für ein Traum! Hab ich …«
»Sei leise«, zischte Tani. »Die Assyrer sind auf dem Schiff!«
»Was sagst du da?« Schlagartig war Merit hellwach.
»Ja. Sei still!«
Sie lauschte. Weder Geschrei noch Waffengeklirr waren zu hören. Merit sprang auf die Füße, hastete ans Kajütenfenster und spähte durch den Vorhangspalt. Schliefen die Medjai noch? Angestrengt spähte Merit in die Nacht. Im Licht der zahllosen Sterne sah sie die Ruderer über die Riemen gebeugt sitzen. Pfeile ragten aus ihren Nacken. Auf dem Deck lagen zwei Körper, auch sie mit Pfeilen gespickt. Merit schlug sich die Hände vor den Mund.
Drei, nein, vier Männer schritten langsam über die Planken. Ihre bronzenen Kegelhelme mitsamt der Haare, die darunter hervorquollen, waren eindeutige Zeichen.In der Hand eines Kriegers flammte eine Fackel auf; ihr Feuer spiegelte sich in zahllosen Bronzeplättchen auf den Oberkörpern. Aus den roten, mit Fransen besetzten Wickelröcken troff Wasser. Merit erinnerte sich an eine böse Redensart: Ein Assyrer ist übel, drei sind eine Armee .
Einer zückte ein Messer und schnitt pralle Lederbalge von ihren Rücken. Dass nur Luft darin war, begriff Merit, als die Beutel fast lautlos zu Boden fielen: Die Männer waren in ihren schweren Rüstungen durch den Nil geschwommen. Merit umklammerte den Anhänger mit dem Emaillekrokodil zwischen ihren Brüsten. Sobek, dachte sie, warum haben deine Geschöpfe sie nicht aufgehalten?
Die Männer waren bis an die Zähne bewaffnet. Zwei hatten Pfeile auf ihre Bogen gelegt. Ein dritter hielt einen Speer in der Hand. Sie alle trugen lange Messer an den Gürteln.
Merit blickte zu Tani hinüber, die zitternd im Raum stand. »Was machen wir jetzt?«, wisperte sie. Ihr Blick irrte über den düsteren Boden. Irgendwo zwischen all den Stoffen, Kissen und Handfächern war ihr Bogen verborgen. Ach, was nützte der ihr? Sie starrte wieder hinaus. Schreien musste sie, ja, schreien, damit die Wachen endlich begriffen, was sich hinter ihren Rücken abspielte. Es konnten doch nicht alle tot sein?
Ein verzweifeltes Gellen drang aus ihrer Kehle: »Nefertem! Nefertem! Wo bist du?«
Die Assyrer hielten inne, rissen die Bogen hoch. Merit warf sich auf die Knie, riss Tani mit sich und wartete, dass die Pfeile auf der anderen Seite der Kajütenwand ins Holz schlugen. Doch das geschah nicht, scheinbar witterten die Männer ihre wertvolle Beute. Merit wollteihre Knie umschlingen, sich zu einer Kugel einrollen, nichts von dem Schrecken wahrnehmen, der gleich über sie hereinstürzen würde. Sie streckte sich nach Tanis Hand und umschloss sie fest. Draußen begann das Kampfgetöse. Schritte trommelten auf dem Deck und ließen es beben. Geschrei, Geklirr, das Zischen von Pfeilen waren zu hören. Ein Mann ächzte. Und ein anderer schrie röchelnd: »Der Pharao wird ewig leben!«
Merit zwang sich, wieder aufzustehen. Sie spähte hinaus. Weitere Männer – die Medjai – lagen tot auf den Planken. Zwei gab es noch, die sich den Angreifern stellten. Der Assyrer, der an der Spitze stand, hatte seinen Helm verloren. Er warf die feuchten Haare aus der Stirn und lächelte kühl. Seine Zähne waren weiß, nicht silbern. Er hielt seinen Speer mit beiden Fäusten, machte einen Schritt vorwärts und ließ die Waffe gegen den Bauch seines Gegners klatschten. Dann wirbelte er den Speer über dem Kopf, und plötzlich steckte die eiserne Spitze im Hals des anderen. Dies geschah so schnell, dass beide fast zugleich zu Boden sanken. Er stellte einen Fuß auf den Brustkorb des Toten und zog mit einer nachlässigen Bewegung den Speer heraus. Er bewegte sich wie eine jagende Raubkatze, voller Geschmeidigkeit, beinahe Anmut.
Und er war grausam. Aus der Gürtelscheide zog er ein wuchtiges Messer und schnitt dem anderen die Kehle durch. Die Klinge in die Höhe reckend, rief er auf Ägyptisch: »Assur ist Herrscher der Welt!«
Ein Wilder. Ein brutaler Wilder, der seinen blutrünstigen Gott verherrlichte. Er hatte sich des Schiffs bemächtigt. Er und diese drei anderen. Nur vier Männer! Merit ballte die Fäuste. Nur vier! Und sie würden sich jetzt nehmen, was den Siegern zustand.
Merit warf sich herum, suchte nach ihrem Bogen und fand ihn endlich. Aus dem Köcher zerrte sie einen Pfeil und legte
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