0427 - Die Knochen-Küste
»Nehmen Sie sich drei Tage Zeit und fahren Sie zu ihr. Sie hat es verdient. Und Sie auch, John. Versuchen Sie dabei gleichzeitig, ein wenig auszuspannen.« So hatte Sir James gesprochen, und Suko, der neben ihm stand, hatte genickt. Ich kam mir vor wie ein Angeklagter.
Dabei hatte ich nichts getan. Aus Marokko war ich zurückgekehrt und hatte den Fall des Schattenwürgers noch nicht richtig verdaut, als man mir diese Dinge sagte. Natürlich wußte ich mittlerweile, was sich in London getan hatte. Jane Collins war zurückgekehrt. Sie hatte es in Frisco nicht mehr ausgehalten, wollte wieder in ihre Heimat und hatte eines Tages vor Sukos Tür gestanden.
Jane, Shao und Suko hatten Zeit gehabt, miteinander zu reden, während ich mich in Marokko herumtrieb. Die drei waren der Meinung, zunächst einmal Abstand gewinnen zu müssen. Sie überredeten Jane, an die Küste zu fahren. Nicht in das mondäne Brighton, dafür nach Seaford, einen kleinen Nachbarort.
Ich sollte ihr also hinterherfahren. »Was bringt das?«
»Ihr müßt euch aussprechen, John«, sagte Suko. »Am besten verlaßt ihr dafür London, damit ihr Ruhe habt. Wir hätten sie auch in die Berge schicken können, aber Sir James meinte, daß die frische Seeluft so manchen Denkvorgang beschleunigt.«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung, ob es ihr überhaupt recht ist, wenn ich sie besuche. Habt ihr mit ihr darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Dann könnte es eine Überraschung werden.«
»Sicher.«
Die beiden schauten mich so an, daß es für mich praktisch keine andere Möglichkeit gab, als zu fahren. Sie hatten alles beschlossen. Na klar, über meinen Kopf hinweg.
»Ihr hättet mich ja fragen können«, beschwerte ich mich.
Sir James lächelte. »Haben wir das nicht jetzt?«
»Ich sehe es als eine sanfte Erpressung an.«
»Nein, wir wollten Ihnen einen Gefallen tun.«
»Wer weiß noch davon?« fragte ich.
Suko hob nur die Schultern. So recht wollte keiner mit der Antwort heraus.
Ich winkte ab. »Das kann ich mir schon denken. Wann soll ich die Koffer packen?«
Sir James gab wieder eine diplomatische Antwort. »Noch haben wir ruhiges Märzwetter…«
»Verstehe, Sir. Je früher, desto besser. Wie Sie meinen.«
Dann ging ich. Daß ich ohne Gruß den Raum verließ, hatte seinen Grund. Ich war sauer, daß man einfach so über meinen Kopf hinweg entschieden hatte. So etwas konnte ich nicht ab. Ich war gern mein eigener Herr. Den Weg in mein Büro ging ich sehr nachdenklich. Glenda Perkins saß im Vorzimmer. Sie drehte sich um, als ich eintrat. Ich roch den Duft des frisch gekochten Kaffees und hörte ihre Frage. »Möchtest du eine Tasse?«
»Klar, es wird sowieso für einige Tage die letzte gute sein, die ich bekomme.«
Glenda erwiderte nichts. Sie schwieg auch, als sie den Kaffee einschenkte.
Ich hatte mich auf die Kante ihres Schreibtisches gesetzt und bedankte mich mit einem Nicken, als ich das Getränk entgegennahm. Glendas prüfender Blick glitt über mein Gesicht, das ernste Züge zeigte.
Ich trank die ersten Schlucke. »Du weißt Bescheid?« fragte ich, als ich die Tasse neben mich stellte.
»Sie ist wieder da.«
»Genau.«
»Und was machst du?«
Ich schaute Glenda an. Ihr Gesicht war blaß geworden. Ich konnte mir vorstellen, was sie fühlte.
Früher hatte eine Eifersucht zwischen den beiden Frauen bestanden. Sie war bestimmt auch heute noch vorhanden und hatte sich bei Glenda sicherlich verstärkt, denn inzwischen waren wir beide uns einige Male sehr nahe gekommen.
»Ich fahre hin.«
»Das wußte ich.«
»Man hat dich also eingeweiht?«
Glenda ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Natürlich, was sonst? Mir wurde gesagt, daß Jane Collins zurückgekehrt sei und auch in London bleiben möchte.«
»Das ist nichts Verwerfliches.«
Glenda lachte leise. »Du brauchst sie nicht in Schutz zu nehmen. Ich denke ebenso wie du, aber ich frage mich, ob sich einiges verändert hat oder noch alles so geblieben ist wie früher?«
»Wie früher wird es nicht sein.«
»Das glaubst du?«
»Davon bin ich sogar überzeugt.«
»Entschuldige, aber ich kann es nicht sein. Jane wird versuchen, zwischen uns zu treten.«
»Moment, das ist nicht sicher. Sie weiß sehr genau, daß sich einiges verändert hat. Sie ist ebenfalls nicht mehr die gleiche wie damals, als sie noch als Detektivin arbeitete. Ihr Hexendasein und die Operation mit dem Einsetzen des künstlichen Herzens haben Spuren bei ihr hinterlassen. Das glaub mir.«
»Spuren, die vergehen
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