Glühende Lust
Nefertem die Belustigung in seinen Worten. »Es waren ja sämtliche Männer von dem abgelenkt, was sich hier im Zelt abgespielt hat. Und jetzt schweigt.«
Besäße er noch die Kraft, so hätte er diesem dreisten Assyrer wohl ins Gesicht gespuckt. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er sah ein aufmunterndes Lächeln über das Gesicht des Mannes huschen. Seltsamerweise glaubte er einen Hauch von Honigduft zu erahnen, der von Schanherib ausging. Spielten seine überanstrengten Sinne verrückt? Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen, als ihm bewusstwurde, dass die plötzlich aufflackernde Hoffnung sinnlos war. Der Mann wollte ihn befreien, vermutlich weil Merit es so wollte. Doch das war unmöglich. Nefertem setzte sich auf und deutete auf die Eisenkette um sein Fußgelenk.
Schanherib knurrte unterdrückt.
Nefertem schüttelte den Kopf. Die Kette war am Mast festgeschmiedet.
Leise aufstöhnend fuhr sich der Assyrer durchs zerzauste Haar. Er war erstarrt; offenbar hatte er nicht damit gerechnet. Nefertem wies auf Tani und ihren Fuß. Bei ihr hatte man weniger Sorgfalt walten lassen und sie nur mit einer Lederschnur an den Mast gebunden. Wenigstens sie sollte etwas davon haben, dass der Mann dieses Wagnis eingegangen war.
Schanherib runzelte widerwillig die Stirn. Nachdenklich rieb er sich das rasierte Kinn. Dann legte er den Dolch neben sich und zog die Kissen beiseite, suchte das Ende der Kette. Dieser Sturschädel wollte natürlich nicht so leicht aufgeben. Bei allen Göttern, begreif es, ich bin verloren!, dachte Nefertem aufgebracht. Sein Blick fiel auf die Klinge. Wie von selbst umschloss seine Faust den Griff.
15 . K APITEL
War er schon gescheitert? Die Kettenglieder waren dick. Mit einer Eisenstange ließen sie sich möglicherweise aufbiegen, aber so etwas hatte er nicht. Schanherib ertastete den Ring, in dem die Kette endete; dieser war in den Mast eingelassen. Wenn es gelänge, ihn zu lockern … Er drehte sich auf den Fersen, um nach seinem Dolch zu greifen.
Seine Hand fuhr ins Leere. Ein würgender Schrei entrang sich dem Mädchen. Gekrümmt kauerte Nefertem auf seinem Lager. Die Klingenspitze drückte gegen seinen Brustkorb.
Schanherib warf sich auf ihn. Er zwang die Faust mit dem Dolch rücklings auf den Boden. Mit der freien Hand schlug er Nefertem ins Gesicht, damit dieser zur Besinnung kam.
»Verschwinde doch«, presste Nefertem hervor. »Du kannst nur Merit retten, aber nicht mich. So ist es für alle am besten.«
Schanheribs Finger bohrten sich so fest in Nefertems Handgelenk, dass dieser die Faust öffnen musste. Der Dolch entglitt ihm.
»Warum … hinderst du mich … wenigstens etwas Achtung zurückzugewinnen?«, stammelte er. Tränen rannen über die Schläfen des jungen Mannes. »Mein Leben ist ohnehin wertlos geworden.«
»Weil mich Merit nicht geschickt hat, damit ichtatenlos zusehe, wie du etwas so Törichtes tust. Im Kampf stirbt sich’s wesentlich achtungsvoller – was du möglicherweise gleich herausfindest, denn du wolltest ja nicht gerade lautlos in den Tod gehen!« Mit den letzten Worten sprang Schanherib auf die Füße und wehrte eine niedersausende Schwertklinge ab, indem er den Arm des Angreifers packte. Der assyrische Krieger war noch verwirrt; so gelang es ihm, kräftig auf dessen Schulter zu schlagen. Der Arm erschlaffte. Schanherib entwand ihm das Schwert.
Weitere stürmten das Zelt, doch unter der niedrigen Decke ließ es sich schlecht kämpfen, so dass er sich nicht allen zugleich erwehren musste. Schanheribs Klinge bohrte sich in die Achsel eines Mannes; der nächste fiel nach einem Hieb gegen dessen Hals. Erleichtert bemerkte er, dass Nefertem sich wieder gefasst hatte: Er riss einen dritten von den Füßen und traktierte ihn mit Fausthieben – ganz so wehrlos war der Junge durchaus nicht, und hätte das Schicksal es anders gewollt, hätte irgendwann ein guter Kämpfer aus ihm werden können. Schanherib stieß ihm mit dem Fuß den Dolch entgegen. Ob Nefertem damit etwas ausrichtete, entzog sich jedoch seiner Wahrnehmung, die sich ganz dem eigenen Kampf widmete. Er brüllte seinen Schlachtruf in die Nacht hinaus.
Mit dem Schwert teilte er die Zeltplane und rannte aufs Deck hinaus, um sich einen Fluchtweg durch die Angreifer hindurchzukämpfen. Ursu-Gila, der im Schatten des Zeltes gewartet hatte, sprang an seine Seite. Nur flüchtig dachte Schanherib daran, dass er sich im Grunde gegen die eigenen Kameraden stellte; womöglich
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