Glut der Herzen - Roman
wöchentlich, zudem wurde nach Bedarf
Tagespersonal beschäftigt, doch diese Außenstehenden arbeiteten unter strenger Aufsicht. Keiner blieb über Nacht. Griffin befürchtete nicht, jemand könnte das Silber klauen, doch das Haus barg einige Geheimnisse, über deren Wahrung er mit Entschlossenheit, um nicht zu sagen Besessenheit wachte. Er wäre nicht zu einem der mächtigsten Unterweltbosse Londons aufgestiegen, hätte er sich Nachlässigkeiten erlaubt.
Wiewohl Jed, Delbert und Leggett das große Haus tadellos in Schuss hielten, war dies nicht ihre vorrangige Aufgabe. In Wahrheit waren sie Griffins Leutnants. Jedem war die Aufsicht über einen speziellen Bereich des von Griffin aufgebauten Imperiums übertragen.
Aus der bunt zusammengewürfelten Diebesbande, die er zwanzig Jahre zuvor um sich geschart hatte, war ein straff organisiertes, großes Unternehmen mit zahlreichen Geschäftszweigen geworden. Seine Fühler reichten bis tief in Londons berüchtigte Stadtteile, neuerdings aber auch in die vornehmsten Bezirke hinein. Seit Griffin in den letzten Jahren sein Talent für Investitionen entdeckt und Anteile an Banken, Schifffahrtsunternehmen und Eisenbahngesellschaften erworben hatte, war seine Macht noch gewachsen.
Keiner seiner Nachbarn an der St. Clare Street ahnte, dass das große, auf den Ruinen der alten Abbey errichtete Haus Eigentum einer der berüchtigtsten Persönlichkeiten der Unterwelt dieser Stadt war. Für die Bewohner der umliegenden Herrenhäuser war der Besitzer des alten Gemäuers am Ende der Straße nur ein reicher, wenn auch entschieden exzentrischer Eigenbrötler.
»Du bist noch immer überzeugt, dass die Frau die Überfälle organisierte?« Delbert studierte mit leicht gerunzelter Stirn den Stadtplan.
»Für mich besteht nicht der geringste Zweifel«, antwortete Griffin.
Delbert nahm seine Brille ab und steckte sie vorsichtig in seine Tasche. »Eines muss man ihr lassen. Sie wird immer vornehmer. Die Hurenhäuser in der Peacock Lane und an der Avery Street sind viel eleganter als die drei ersten, die sie sich vornahm. Glaubst du, sie weiß, dass die zwei letzten Luttrell gehören?«
»Darauf würde ich die Abbey verwetten. Ich bin sicher, dass sie sämtliche Bordelle Luttrells aufs Korn genommen hat. Die ersten drei Überfälle auf kleine, unabhängige Häuser waren Probeläufe, um Erfahrung zu sammeln. Wie jeder gute Stratege lernte sie aus diesen Attacken und verfeinerte ihre Taktik. Von nun an wird sie sich auf Luttrells Unternehmen konzentrieren. Ihr Ehrgeiz treibt sie an.«
»Das nennt sich Sozialreformerin. Allerdings kein Funken gesunder Menschenverstand.« Delbert gab einen missbilligenden Laut von sich. »Sie weiß wohl nicht, mit welcher gefährlichen Viper sie es zu tun hat.«
»Doch, sie weiß es. Deshalb geht sie gegen seine Unternehmen vor. Sozialreformer leben mit der Überzeugung, dass die Rechtschaffenheit ihrer Sache sie schützt. Unsere kleine Bordell-Bekämpferin käme nie auf den Gedanken, dass Luttrell keine Sekunde zögern würde, ihr die Kehle durchzuschneiden.«
»Hm, ihre Aufmerksamkeit scheint sich völlig auf die
Freudenhäuser zu konzentrieren«, meinte Delbert nachdenklich.
»Das war von den ersten Presseberichten an klar.«
Delbert zog die Schultern hoch. »Dann brauchen wir uns keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wir betreiben keine Bordelle. Sollte sie gegen Spielklubs oder Kneipen vorgehen, könnte sie für uns zum Ärgernis werden, aber solange sie es bei Überfällen auf Bordelle belässt, ist sie Luttrells Problem.«
»Leider wird sie mit ihrem Leben bezahlen, wenn sie ihrem Hobby weiterhin nachgeht«, sagte Griffin darauf.
Delbert sah ihn fragend an. »Du sorgst dich um eine Sozialreformerin? Solche Leute sind eine Landplage wie Eichhörnchen und Tauben, nur kann man sie nicht braten oder zu einem anständigen Stew verarbeiten.«
»Ich glaube, diese spezielle Sozialreformerin könnte für mich sehr nützlich sein, wenn ich sie erwische, ehe man sie tot aus dem Fluss zieht.«
Nun schrillten bei Delbert die Alarmglocken. »Verdammt, sie gefällt dir wohl, Boss? Warum ausgerechnet sie?«
»Schwer zu erklären.«
Griffin blickte zu dem Porträt an der Wand hoch. Es war, als blicke er in einen dunklen Spiegel. Die frappierende Ähnlichkeit zwischen ihm und Nicholas Winters war nicht zu übersehen, daran konnten auch das schwarze Samtjackett und das kunstvoll geschlungene Halstuch seines im Stil des ausgehenden siebzehnten Jahrhunderts
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