Glut und Asche
für den Sheriff.« Er schien auf eine ganz bestimmte Reaktion auf diese Eröffnung zu warten, aber Andrejs Gesicht blieb unbewegt.
»Der Sheriff?«, fragte er.
Marcus hob besänftigend die Hand. »Zu viel der Ehre, Mister Delany . Ich bin nur ein kleiner Konstabler, der für den Sheriff arbeitet, fürchte ich.«
Und das nicht allein, fügte Andrej in Gedanken hinzu. Er spürte die Anwesenheit von mindestens zwei weiteren Mä n nern. Einer stand hinter der schmalen Verbindungstür zur K ü che, die nur angelehnt war, der andere hielt sich in den Schatten am oberen Ende der Treppe verborgen. Andrej konnte das schnelle Schl a gen ihrer Herzen hören, ebenso wie ihre flachen Atemzüge, gestand ihnen aber zu, dass sie perfekt getarnt w ä ren, wären Abu Dun und er normale Menschen gewesen. Was ging hier vor?
»Ich nehme an, Sie sind wegen des Einbruchs hier?«, fragte er kühl.
Marcus zuckte mit den Schultern - eine unbestimmte Geste, deren Interpretation Andrej wohl selbst überlassen blieb. »Ihnen ist ein kostbares Schwert gestohlen worden, Mister Delany ?«
»Unter anderem«, bestätigte Andrej. »Ich hoffe, es ist nicht verboten, in dieser Stadt Waffen zu tragen? Abu Dun und ich sind noch nicht lange in England und mit den Sitten und G e bräuchen noch nicht sehr gut vertraut.«
Auch auf diese Frage gab Marcus keine Antwort, sondern beobachtete Abu Dun für die Dauer eines langen Atemzuges mit einem abschätzenden Blick, in dem Andrej ebenso wenig zu lesen vermochte wie in dem, mit dem er ihn zuvor taxiert hatte, dann wandte er sich wieder zu ihm um. »Darf ich fragen, was Sie und Ihren Freund nach London führt, Mister Delany ?«
»Geschäfte«, antwortete Andrej knapp. Er versuchte, in Marcus hineinzula u sch en. Anders als Meruhe und die anderen ihrer Art waren Abu Dun und er nicht in der Lage, die Geda n ken anderer zu lesen, sehr wohl aber, einen allgemeinen Ei n druck von ihrem Gegenüber zu erlangen - was möglicherweise nicht einmal e t was mit ihren besonderen Fähigkeiten zu tun hatte, sondern einfach damit, dass sie es seit Jahrhunderten g e wohnt w a ren, Menschen zu beobachten. In Marcus jedenfalls spürte er keine Heimtücke oder Falschheit. Aber auch nichts, was ihn für ihn eingenommen hätte.
»Und welcher Art diese Geschäfte sind, möchten Sie mir nicht verraten, Mister Delany ?«
»Genau genommen sind wir auf der Suche nach jemandem«, antwortete er. »Einem ... alten Freund. Aber ich fürchte, wir haben ihn verfehlt.«
Marcus nickte, als hätte er etwas gehört, was ihn nicht so n derlich überraschte - oder was er nicht glaubte. »Sie und ihr Freund sind seit einer Woche hier?«
»Ungefähr«, antwortete Andrej. »Warum fragen Sie?«
»Oh, nur so, ohne besonderen Grund«, behauptete der Kon s tabler. Er gab sich nicht einmal Mühe, überzeugend zu lügen. »So eine Art Berufskrankheit, wenn Sie so wollen. Wenn man sein Leben lang Polizist war, dann kann man irgendwann gar nicht mehr anders, als alles wissen zu wollen ... Haben Sie e i nen Verdacht, wer sie bestohlen haben könnte, Mister Delany ?«
»Ein Einbrecher?«
»Ja, diese Idee ... liegt nahe.« Marcus' Gesicht zeigte nun doch so etwas wie eine menschliche Regung, auch wenn sie vol l kommen anders war, als Andrej erwartet hätte: Er lächelte. Und dieses Lächeln wirkte sogar echt.
»Wenn diese Waffe so wertvoll war, wie Sie sagen, Mister Delany , dann hätten Sie sie vielleicht besser bei sich getragen.«
»Ich beabsichtige nicht, irgendwelche Ansprüche geltend zu machen, wenn es das ist, was Sie befürchten, Konstabler .«
»Ansprüche geltend machen?«, wiederholte Marcus. »Aber g e gen wen denn?«
»Ich sagte doch, ich beabsichtige nichts dergleichen«, erw i derte Andrej. Er spürte, wie sich der Mann hinter der Tür a n spannte - möglicherweise war da ja irgendetwas in Marcus' Stimme g e wesen, ein verabredetes geheimes Zeichen vielleicht oder einfach eine gewisse Spannung, die der Mann gespürt ha t te -, re a gierte aber nicht darauf, sondern hob nur noch einmal die Schultern, wie um seine Worte zu bekräftigen. »Wie gesagt: Es war meine eigene Schuld. Ich hätte besser auf das Schwert au f passen sollen. Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass jemand das Risiko eingeht, seinetwegen hier einzubrechen ... zumal es für mich zwar einen enormen persönlichen Verlust darstellt, sein materieller Wert aber eher gering ist.«
»Dieses Verbrecherpack wird immer dreister«, pflichtete ihm der
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