Das Versprechen des Architekten
DIE VILLA WAGENHEIM
Da müssen wir aber ein Stück zurückgehen. Brünn gleich zu Beginn der Fünfzigerjahre. Kein Zuckerlecken, das könnt ihr mir glauben. Mein Atelier in der Kounicova, jetzt schon Leninova, hatte sich in einen ausgelagerten Arbeitsplatz des Städtischen Baubüros verwandelt. Ich war nicht mehr Architekt, sondern nur noch Beamter am Reißbrett. Und im „Arbeitskollektiv“ vor einer ganzen Reihe weiterer Bretter. Unsere kollektive Aufgabe umfasste unter anderem die Erweiterung der Kaserne in Židenice und in der Botanická den Bau einer sozialistischen, na eher wohl neoklassizistischen, Wohnanlage, also eines Blocks mit Wohneinheiten. Ich brachte es nicht fertig, mich jemandem aus diesem Kollektiv anzuschließen oder gar Freundschaften zu knüpfen, weil in meinen Augen alle Eindringlinge waren. Man hatte mir mein Atelier weggenommen und ihm sechs Teilhaber zugewiesen, zwei davon waren sich unentwegt räuspernde alte Männer, bedeutungslose Architekten der alten Schule, denen ich in früheren Zeiten nie bei irgendwelchen Events, weder bei Vernissagen noch bei Gartenpartys, begegnet war, Pöbel von irgendwoher vom Rand der Gesellschaft. Die restlichen vier wiederum freche Burschen, die mich spüren ließen, dass sie dieseGeneration der Erbauer der „Sonnenstädte“ seien, die da plötzlich bei uns wie Pilze nach einem Regen aus dem Boden schossen. Eigentlich waren wir eine Art Fabrik für Bauprojekte, wovon auch zeugte, dass sie uns eine Partie Zeichnerinnen (ich nannte sie Einpeitscherinnen) reingesetzt hatten, die – wie am Fließband – unsere auf Zeichenkarton ausgeführten Bleistiftzeichnungen mit Tusche auf Pauspapier auszogen. Und unten hatten wir eine Pförtnerloge mit Stechuhr, und würde ich mich einmal auch nur um fünf Minuten verspäten, würde das unabsehbare Folgen nach sich ziehen, die ich, mit meinem hässlichen Protektoratsmakel, mir einfach nicht erlauben konnte.
Dieser Makel, ja, damit muss ich beginnen, heißt Villa Wagenheim und ist zugleich mein zweifelhafter architektonischer Stolz. Ich hatte die Möglichkeit gehabt, mir den idealsten Platz zwischen der Villa Reißig des Architekten Leopold Bauer und der Villa Tesař des Architekten Bohuslav Fuchs auszusuchen, also auf der Hroznová, an der Stelle der einst berühmten Brünner Weinberge, und dort stellte ich mein sonderbares
Meisterstück
, die Villa Wagenheim des Architekten Kamil Modráček, hin.
Jawohl
, Kompliment!, Kamil Modráček, das bin ich. Wirklich auskosten konnte SS-Gruppenführer Günter Wagenheim seine Villa allerdings nicht: Zwei Jahre nach der Kollaudierung haben nämlich noch die Nazis selber Wagenheim hingerichtet, weil er in eine Verschwörung gegen Hitler verwickelt war, und die Villa wurde zur mittlerweile dritten Brünner Gestapo-Zentrale umfunktioniert (die vor ihr bitteschön in der Villa Löw-Beer in derDrobného und dann im Gebäude der juristischen Fakultät). Und heute machen es sich dort seelenruhig irgendwelche bedeutenden kommunistischen Funktionäre gemütlich, gänzlich unberührt davon, dass man am Grundriss der Villa – besonders aus der Vogelperspektive – erkennen kann, dass ihre vier Flügel ein riesiges Hakenkreuz nachbilden. Als am unlängst abgehaltenen Flugtag allerdings ein Flieger voll mit Arbeiterjugend von Slatina aus zu einem Rundflug über Brünn startete, verband, kaum dass sie sich Pisárky zu nähern begannen und bald über die Villa Wagenheim fliegen sollten, eine Stewardess allen Kindern mit vorher bereitgelegten schwarzen Tüchern die Augen, und den beiden, für die keine Tücher mehr übrig waren, hielten ihre Kolleginnen mit den Händen die Augen zu.
Also wo sind wir beim letzten Mal stehen geblieben?, sagte Leutnant Láska, und ich beobachtete ihn, wie er in den Unterlagen blätterte, um schließlich die immer gleichen Fragen hervorzuholen, die ich im Laufe mehrerer Monate immer wieder von Neuem beantwortet hatte. Vielleicht rechneten sie aber auch damit, dass beim aufreibenden Wiederkäuen der stets gleichen Fragen meine Aufmerksamkeit mit der Zeit abstumpfen und ich vielleicht irgendwie anders, für mich ungünstig, antworten würde.
Sagt Ihnen der Name SS-Gruppenführer Günter Wagenheim etwas?
Ja.
Haben Sie sich mit ihm getroffen?
Ja.
Einmal, zweimal oder mehrmals?
Eher mehrmals.
Haben Sie sich mit ihm im Gestapogebäude in der Veveří oder in seiner Wohnung am Stalinpark getroffen?
Die Adresse lautete damals nicht Stalinpark, sondern Koliště,
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