Glut und Asche
mit einer Antwort - aber er bekam sie. Meruhe blieb stehen, betrachtete Ihn mit einem Blick, dessen genaue Bedeutung er nicht verstand, und sagte dann ernst: »Ein Krieg, Andrej. Lok! Ist damals nicht vor dir geflohen. Er und seine Anhänger...«
Auch diesen Satz ließ sie unvollendet und zuckte nur die Schultern.
»Ich weiß, was sie vorhatten«, sagte Andrej. Wieder tauchten Bilder aus seiner Erinnerung auf, unwillkommene Bilder von einem tanzenden, schreienden ... Ding, das sich kreischend in den Flammen wand, und die Erinnerung an etwas unb e schreiblich Böses, das seine Seele berührt hatte. Gegen seinen Willen fragte er sich, wie viel von diesem Fremden und Bösen wohl auch in ihr sein mochte. Der Schatten in Meruhes Augen wurde dunkler, und als sie weitersprach, klang sie ebenso ve r letzt wie mühsam beherrscht.
»Wir leben jetzt schon so lange unerkannt unter euch, A n drej«, sagte sie. »Die Menschen ahnen von unserer Existenz. Manche glauben, wir wären Götter, andere halten uns für D ä monen.«
»Und was seid ihr wirklich?«
Andrej fragte sich, ob es Zufall war, dass Abu Dun ihr gesagt hatte und nicht wir. Meruhe schien sich dieselbe Frage zu ste l len, denn sie maß den Nubier mit demselben sonderbaren Blick wie ihn gerade, beließ es aber auch jetzt nur bei einem Schu l terzucken. »Vielleicht von beidem etwas«, antwortete sie. »Es spielt auch keine Rolle, mein Freund. Wir streben nicht nach Macht... nicht mehr«, fügte sie hinzu, als Abu Duns Blick u n verhohlen zweifelnd wurde.
»Weshalb man eure Namen ja auch gar nicht kennt, nicht wahr?«, fragte Andrej spöttisch. Wenigstens hoffte er, dass es spöttisch klang. »Ra, Marduk, Seth ... das alles ist gewiss nur Zufall, nicht wahr?«
»Es gab eine Zeit, da haben wir nach Macht gestrebt, A n drej«, räumte Meruhe ein. »Es ist lange her. Lange bevor die meisten von uns geboren wurden.«
»Auch du?«, fragte Andrej.
Meruhe überging die Frage. »Es gab eine Zeit, in der unser G e heimnis keines war und wir uns den Menschen zu erkennen gaben und als Götter über sie herrschten.« Ihre Stimme wurde bitter. »Sie wäre beinahe unser Ende gewesen, Andrej. Die Menschen sind schwach, aber auch zahlreich. Zu zahlreich, um auf Dauer beherrscht werden zu können, selbst von uns. Viele sind gestorben damals, und die wenigen, die überlebt haben, suchten Zuflucht an dem einzigen Ort, an dem sie wirklich s i cher waren, dem Vergessen. Damals beschlossen wir, nie wi e der zu Göttern zu werden. Es wäre unser Ende.«
Es war nicht das erste Mal, dass sie zwischen »ihnen« und »uns« hin und her wechselte, und Andrej fragte sich, ob es pure Unaufmerksamkeit war oder vielleicht sogar Absicht, um ihn zu verwirren. Vielleicht wusste sie es auch selbst nicht mehr.
Wie mochte es sein, so lange zu leben?
Während er weiter langsam neben Meruhe herging und ihren Worten lauschte, fragte er sich, ob er die Antwort überhaupt wissen wollte. Abu Dun und er lebten seit Jahrhunderten, und schon diese Zeit kam ihm endlos vor. Meruhe musste zehnmal so alt sein, und wenn das, was sie erzählte, wahr war, dann war selbst sie jung gegen manche der anderen. Er schrak vor der bloßen Vorstellung zurück, so alt zu werden und so viele unte r schiedliche und dennoch stets gleiche Leben zu führen. Vie l leicht musste man zwangsläufig im Laufe eines unendlichen Lebens irgendwann wahnsinnig werden.
Meruhe blieb stehen und sah ihn leicht verletzt an. Zweife l los hatte sie auch jetzt wieder seine Gedanken gelesen.
»Und Loki möchte zurück zu diesen alten Zeiten?«, fragte Abu Dun - vielleicht nicht einmal aus wirklichem Interesse, sondern eher, weil er die plötzliche Spannung zwischen Meruhe und ihm fühlte.
Meruhe warf ihm einen raschen, dankbaren Blick zu und ging weiten »Nicht nur er«, sagte sie. »Was damals in Walhalla und später an Bord der EL CID geschehen ist, hat unser Volk g e spalten, Andrej. Manche sehnen sich zurück nach den Zeiten, in denen wir Götter und Herrscher waren. Andere wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Dieser Zwist schwelt unter uns, s o lange es uns gibt, aber Loki ... ist anders. Er ist jung und ung e stüm, aber er ist auch gefährlich und ein Meister des Wortes. Es ...« Sie schien selbst nach Worten zu suchen. »Er und die, die genauso denken, wollen nicht länger warten. Sie planen etwas. Wir wissen nicht genau was ... aber es kann nur übel enden. Und es wird schlimm werden, Andrej. Viele werden sterben. Viele Menschen,
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