Glutheißer Höllentrip
eindeutig krimineller zu als in England. Es gelang ihr nicht, das Gefühl von Beunruhigung wieder abzuschütteln, das sich ihrer bemächtigt hatte, obwohl der Busfahrer auf dem Weg nach Reno garantiert keine Hitchhiker mitnehmen würde.
„Hoffentlich werden die Kerle bald geschnappt“, meinte Li. „Aber die Amerikaner scheinen mit solchen Nachrichten locker umzugehen.“
Kathy begriff, was die Chinesin meinte. Weder die Trucker noch die Bedienung wurden wegen der Warnmeldung unruhig. Und auch der braunhaarige Typ und seine Kollegen standen gelassen auf und gingen hinaus zum Parkplatz. Kathys Augenflirt-Partner warf ihr noch einen letzten interessierten Blick zu. Schade, sie hätte ihn wirklich gerne kennengelernt. Aber wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen.
Dieses Land war so unvorstellbar riesig. Allein der Staat Nevada war größer als England ohne Schottland und Wales, allerdings mit sehr viel weniger Bevölkerung. Nein, die Begegnung mit dem Braunhaarigen würde gewiss einmalig bleiben.
Kathy schob den unerfreulichen Gedanken beiseite und widmete sich ihrem Hamburger und den Fritten. Das Essen und Lis angenehme Gesellschaft beruhigten sie. Es war, als ob sie die Chinesin schon ewig kennen würde.
An einem der anderen Tische ertönte schrilles Gelächter. Dort saßen einige junge Frauen in Kathys und Lis Alter. Ob sie auch Studentinnen auf dem Weg zur State University waren?
Auf jeden Fall waren die Mädels alle topmodisch gestylt. Sie erinnerten Kathy an Cheerleader, die sie in amerikanischen Filmen gesehen hatte. Die US-Girls hatten ausnahmslos einen tief sonnengebräunten Teint und trugen Miniröcke, Shorts und ärmellose Tops. Im Vergleich zu ihnen kam sich Kathy wie eine graue Maus vor. Ob sie wohl an der Uni zur Außenseiterin werden würde?
Bevor Kathy über diese Frage weiter nachdenken konnte, drängte der Fahrer zum Aufbruch. Der Weg zum Bus war nur kurz, aber er trieb Kathy den Schweiß auf die Stirn. Die Luft über dem Highway schien zu flimmern. So heiß hatte Kathy sich das Klima in Nevada nicht vorgestellt. Allerdings war sie auch noch nie zuvor in ihrem Leben in der Wüste gewesen. In Nottingham gab es öfter mal einen Regenschauer, auch im Sommer. Aber hier sah der Boden so aus, als ob es seit Jahren keine Niederschläge gegeben hätte. Der Lehm wirkte hart und rissig wie Granit. Kathy war erleichtert, nach wenigen Minuten den klimatisierten Bus zu erreichen.
„Macht dir die Hitze gar nichts aus, Li?“
„Nein, in Shanghai kann es im Sommer auch schon mal vierzig Grad heiß werden. Allerdings ist es in meiner Heimat viel schwüler als hier, und wenn ein Taifun tobt, dann stürzen Wassermassen auf die Stadt hinab. Davon kann man in der Wüste von Nevada nur träumen.“
Nachdem alle Passagiere eingestiegen waren, ließ der Fahrer den Motor an. Kathy bemerkte, dass sich außer ihr selbst nur noch wenige andere Menschen in dem lang gestreckten Fahrzeug befanden. Das Rudel der kichernden US-Mädels hatte die Rückbank mit Beschlag belegt. Ansonsten gab es nur noch einen Soldaten, der mit seinem MP3-Player ununterbrochen Musik hörte, und ein älteres Ehepaar im Touristenlook. Und natürlich Li und sie selbst.
„Du sagtest doch, der Bus wäre vorhin so voll gewesen, Li.“
„Ja, das war er auch. Aber die meisten Leute sind schon in Amargosa Valley wieder ausgestiegen. Sie sahen aus wie Tagespendler. Es gibt wohl außer uns kaum jemanden, der die lange öde Strecke bis nach Reno durchfährt.“
Das gleichförmige Motorengeräusch wirkte einschläfernd. Kathy fragte sich, ob sie nicht besser ein paar Dollar mehr für den Inlandsflug von Las Vegas nach Reno ausgegeben hätte. Aber sie wollte schließlich das kommende halbe Jahr in Nevada verbringen. Da konnte es nichts schaden, die Landschaft aus nächster Nähe kennenzulernen.
Der Bus legte mehr als zwanzig Meilen auf dem einsamen Highway zurück, bis der Fahrer plötzlich stark abbremste. Kathy dachte sich zunächst nichts dabei. Auf dem Motorway M 1 von Nottingham nach Rotherham herrschte oftmals Stau, da musste man schon einmal in die Eisen steigen. Aber vor dem Bus waren keine wartenden Fahrzeuge zu sehen.
„Was ist los?“, wollte Li wissen. Kathy, die am Fenster saß, spähte nach vorn.
„Da ist ein Auto verunglückt, glaube ich. Der Wagen steht halb auf dem Standstreifen, jemand liegt auf dem Boden.“
Der Fahrer brachte den Bus endgültig zum Stehen. Er griff zum Mikrofon. „Ladys und Gentlemen, bewahren Sie
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