Angélique - Am Hof des Königs
Kapitel I
A m 21. Februar 1660 kam König Ludwig XIV. nach Cotignac. Auf seinem prächtigen Ross erklomm er Schritt für Schritt, Stufe für Stufe den Mont Verdaille, bis er die Stelle erreichte, wo ihn die Heilige Jungfrau von Notre-Dame de Grâces erwartete, der er sein Leben verdankte.
Die provenzalische Winterluft war klar und voller Licht.
Seit über einem Jahrhundert war das kleine Dörfchen Cotignac ein bekannter Wallfahrtsort. Mit seinen blassroten Ziegeldächern, seinen beruhigenden Quellen unter der flirrenden Sonne und seinen zu Gebet und Meditation einladenden Höhlen schien es geradezu den Steilhang hinabzufließen. Und in der Ferne wähnte man hin und wieder hinter sanften Hügeln und flachen Ebenen, vermischt mit dem Blau des Himmels, das tiefblaue Mittelmeer zu erkennen.
Am Fuß des vielfarbig schillernden Steilhangs kniete seine Mutter, Königin Anna von Österreich, in der Kirche und durchlebte noch einmal jene Zeit voller Hoffen und Bangen, die sie zwanzig Jahre zuvor durchlitten hatte, hin- und hergerissen zwischen dem Königreich ihres Gemahls Ludwigs XIII. und dem Reich ihrer beiden Brüder, Philipp IV. von Spanien und Kardinalinfant Ferdinand, beide erbitterte Gegner Frankreichs.
Nach über zwanzig Jahren unglücklicher Ehe quälte sie damals der Fluch ihrer Unfruchtbarkeit, und das Schreckbild der Verstoßung, das der unduldsame Kardinal Richelieu unablässig heraufbeschwor, weil sie seine politischen Pläne störte, verwandelte das Leben dieser immer noch jungen und schönen, von allen
verlassenen Königin von Frankreich in einen Albtraum. Allein der Glaube und ihre feste Zuversicht hatten sie überleben lassen. Nur göttliches Eingreifen schien noch Rettung zu verheißen, nur die Mystiker hatten ihr neuen Mut schenken können. Im Laufe der Jahre hatten sie als Einzige die Verzweiflung der leidgeprüften Königin zu lindern vermocht, die in der ständigen Furcht lebte, niemals Mutter zu werden.
Ihre bescheidenen, frommen Stimmen, die ihr voller Zärtlichkeit und Überzeugung das göttliche Versprechen zuwisperten, hatten ihr Kraft und das Vertrauen in sich selbst und ihren Körper wiedergegeben, der vom schlimmsten Scheitern bedroht war, das einer Frau widerfahren konnte: der Unfruchtbarkeit, die sie noch zu Lebzeiten aus dem Dasein verbannte.
Die Mystiker und ihre warmherzige Nächstenliebe, die der Gottes auf Erden nachstrebte, hatten sie mit ihren glühenden, sich aus verschwiegenen Klöstern aufschwingenden Worten getröstet, mit unerkannten Wallfahrten, die kein anderes Ziel hatten, als ihr die göttliche Botschaft zu übermitteln.
Zunächst war da Schwester Anne-Marie gewesen, eine Benediktinerin aus der Kongregation Unserer Lieben Frau vom Kalvarienberg. Dieser Orden war einst von Père Joseph, der grauen Eminenz von Kardinal Richelieu, gegründet worden und hatte sich der »Kontemplation der Mysterien der Passion Christi und des Mitgefühls Unserer Lieben Frau« verschrieben.
Die in der Bretagne geborene Anne de Goulaine war als Schwester Anne-Marie in Morlaix ins Kloster eingetreten. Am Karfreitag 1630 hatte sie im Angesicht ihrer Gemeinschaft während einer Ekstase die Stigmata empfangen. Seit langem schon war ihr die Gnade zuteilgeworden, mit dem Himmel zu kommunizieren. Sie war vor allem die Seherin von Ludwig XIII. und seinem Kardinal gewesen, die sie nach Paris geholt hatten, wo sie sie beriet und sie in ihrem unsteten Glauben aufrüttelte, der in ihren Augen immer ungenügend blieb. Ihnen hatte sie
vorausgesagt, dass »Corbie zurückerobert werden würde«, ein Wunder, das sie in strategischer Hinsicht nicht zu erhoffen gewagt hatten. Und doch vergaß Schwester Anne-Marie die Königin nicht, die die beiden Männer so gerne ignorierten. Oftmals hatte sie ihr Gottes Botschaft übermittelt, dass sich ihr Wunsch, Mutter zu werden, erfüllen würde.
Auch im burgundischen Beaune gab es eine Karmelitin, Schwester Margareta vom Heiligen Sakrament, der im Stillen häufig die Jungfrau Maria und das Jesuskind erschienen waren.
Im Jahr 1632, dem gleichen, in dem Anna von Österreich in die Abtei von Frigolet in der Nähe von Avignon gereist war, um vor dem Bildnis der Heiligen Jungfrau von Notre-Dame du Bon Remède niederzuknien und auch ihr ihr inständiges Flehen darzubringen, war der Nonne am 16. Februar die Gnade der mystischen Vermählung zuteilgeworden, und sie hatte die Stigmata empfangen.
Ihr außergewöhnliches spirituelles Schicksal schien auf unerklärliche Weise mit
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