Glutnester
wette, du kennst den Unterwössener Flugplatz noch nicht. Karl hat mir das mit deinen Gewissensbissen wegen dem Hubs gebeichtet.«
Elsa schluckt. Sie spürt, wie ihr unverhofft warm ums Herz wird.
»Von oben sieht alles klein und unbedeutend aus, und egal, ob je wieder geküsst wird oder nur gequatscht. Ich finde, du solltest dich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie nichtig – von oben betrachtet – unser Leben hier unten wirkt.«
Die Tränen, die Elsa die Wangen hinunterrinnen, fühlen sich endlich einmal gut an. Gut und erleichternd. Elsa weiß, wie schwer es Ben fällt, ihr lediglich seine Freundschaft anzubieten. Es heißt, dass er verstanden hat, wie wichtig ihr momentan ihre Freiheit ist.
»Wir hier draußen halten trotz allem zusammen, Elsa. Darauf kannst du zählen.«
»Danke, Ben. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … Außer …«, Elsa zögert und sagt es dann doch, »ich mag dich. Sehr sogar. Du bist der erste wirkliche Freund in Bayern.« Dann legt sie auf.
Anna klopft energisch gegen die Scheibe und macht eine Geste, dass sie nach Hause fahren möchte. Elsa nickt und steigt in den Wagen. Als sie startet, sieht sie, dass Anna auf das Kreuz deutet, nach dem sie unlängst gefragt hat. Das mit den dunklen Diamantsplittern. »Ist übrigens von Papa. Nur, um das klarzustellen«, meint Anna gleichmütig.
Elsa nickt, froh, dass ihr anvertraut wurde, was es mit dem Schmuckstück auf sich hat. Sie dreht das Autoradio auf und hört Whitney Houstons ehemals grandiose Stimme. ›I will always love you.‹ Ein Lied, das eine große Liebe und eine wundervolle Zukunft heraufbeschwört.
Mein Gott, denkt Elsa bei sich. Liebe und Männer. Bei dieser Kombination konnte stets alles herauskommen. Männer wie Gerd Speckbacher, die die Liebe völlig falsch verstanden und sogar Morde im Namen derselben ausübten. Ben Fürnkreis, der die Liebe locker zu nehmen schien, es dann aber doch ernst meinte. Hörnchen, der eine letzte Liebe gegen die Einsamkeit suchte, wie er mit wenigen Worten und ungewohnt schüchternem Blick angedeutet hatte. Hartmut, ihr Ex-Mann, der ihr die Liebe vorübergehend vermiest hatte. Und Karl Degenwald. Als sie an ihn denkt, spürt sie etwas, das sie nicht benennen kann. Etwas Warmes, Weiches in sich drin. Und ein Ziehen in der Herzgegend. Vielleicht würde sie im Achental doch noch eine Heimat finden. Vermutlich würde es noch eine Weile dauern. Doch das Ärgste hatte sie bestimmt hinter sich.
Einen echten Anfang gibt es nur, wenn man die Vergangenheit zu den Akten legt. Das hatte ihr jemand mit auf den Weg gegeben, als sie vor vielen Jahren ins Berufsleben eingestiegen war. Genau das werde ich jetzt tun, nimmt Elsa sich vor. Sie wirft einen letzten Blick auf Anna und das Kreuz. »Es ist wunderhübsch«, sagt sie. »Und du hast recht, Anna. Du bist jeden einzelnen Stein wert.«
Elsa reiht sich in den Verkehr Richtung Unterwössen ein und fährt zufrieden nach Hause.
E N D E
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