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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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der sich mir einem Güterzug angelegt hatte, wobei er im wahrsten Sinne des Wortes den Kürzeren gezogen hatte, denn man hatte ihm nach diesem unfairen Duell beide Beine amputieren müssen, hatte mir erzählt, dass er seit seinem Unfall viel besser Klavier spielen könnte. Er hatte dies darauf zurückgeführt, dass seine Hände die nicht mehr benötigten Energien seiner Beine übernommen hätten. Ähnlich, wie der Blinde, der besser riechen konnte als ein Sehender. Ich hatte ihm nie gesagt, dass es für ihn vorteilhafter gewesen wäre, wenn sein Gehirn auch ein wenig Energie abbekommen hätte. Ich hatte einfach zu viel Mitleid mit ihm gehabt. Jeden Abend war er den anderen Patienten mit seinem Geklimper auf die Nerven gegangen, aber niemand hatte es gewagt, es ihm zu verbieten. Eine seltsame Art von Solidarität war das gewesen. Angeblich wollte keiner Mitleid bekommen, aber alle hatten Mitleid gehabt. Mitleid mit den anderen Kranken, und natürlich auch mit sich selber.

    Ich hatte diese Märchen nie glauben können, dass die Behinderung positive Auswirkung auf andere Körperteile haben könnte. Im Gegenteil, zwar funktionierten meine Beine nicht mehr, aber dafür hatte ich seit dem Unfall auch keine Erektion mehr gehabt. Obwohl mir alle Ärzte versichert hatten, dass ich noch in der Lage dazu wäre. Schöne Kompensation. Keine Beine, aber allzeit einen dicken Schwanz. Von wegen! Meiner hätte auch einen Rollstuhl nötig gehabt. Eigentlich hatte ich seit damals vergessen, dass ich einen besaß. Hätte ich ihn nicht zum Pissen gebraucht, ich hätte ihn schon längst einem mittellosen Macho gespendet.

    Und jetzt sollte ich glauben, dass der Unfall bewirkt hatte, dass ich die Gedanken anderer Menschen lesen konnte? Unsinn! Der Zeitpunkt für die erste Solofahrt war einfach zu früh gewesen. Manfred hatte sich verkalkuliert. Das war alles. Oder? Man hätte es noch einmal ausprobieren müssen. Es würde ja keiner merken.
    Ich beschloss, es an Manfred zu testen. Mein kleiner Pfleger war die richtige Versuchsratte dafür. Ich war zu ihm in die Küche gefahren, wo er am Tisch saß, und die Kartoffeln für das Mittagessen schälte. Dazu hatte er sich glücklicherweise seine langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    „Na, Robert, alles klar?“, fragte er ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
    „Natürlich, warum auch nicht?“, antwortete ich; froh, dass er mich nicht ansah.
    „Ich dachte nur. Aller Anfang ist schwierig. Es war für dich bestimmt nicht leicht, alleine loszufahren.“
    „Ach, Quatsch! Nimm dich bloß nicht zu wichtig. Soo abhängig bin ich nun auch nicht von dir. Ich hab`s ja auch ganz gut gepackt. Dass der dämliche Supermarkt keine Butter mehr hatte, dafür kann ich ja auch nichts. Musst du halt später noch mal losgehen.“
    Er hatte mich angesehen, und auch ohne seine Gedanken lesen zu können, ahnte ich, was ihm durch die Birne geisterte: du bist nicht drangekommen, an die Butter, und du warst zu feige, um Hilfe zu bitten.
    Doch er hatte nichts gesagt. Stumm hatte er die Vorbereitungen für das Essen fortgeführt. Das war eine seiner großen Leidenschaften, das Kochen. Darüber war ich sehr froh gewesen, denn ich hasste Kochen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Manfred nie auf die Idee gekommen wäre, mich Kochen zu lassen. Er hatte zwar gewollt, dass ich selbstständiger wurde, aber bestimmt nicht beim dem Thema Kochen. Er hatte immer eine riesige Show daraus gemacht. Für ihn war es eine wahre Wissenschaft, was man auch an seiner dicken Wampe sehen konnte.
    Ich fuhr mit dem Rolli auf die andere Seite des Tisches, ihm direkt gegenüber. Ich schaute ihn an, und versuchte, mich ganz auf seine Gedanken zu konzentrieren. Glücklicherweise beachtete er mich nicht. Wenn er bemerkt hätte, wie dämlich ich ihn anstarrte, und versuchte in seine Gehirnwindungen vorzudringen, hätte er mich wahrscheinlich sofort in die Klapsmühle gebracht.
    Ich schloss die Augen und fokussierte mich auf sein Hirn. Doch nichts geschah. Gleichzeitig erleichtert und verunsichert, öffnete ich wieder meine Augen. Ich hatte doch recht gehabt. Es war einfach nur der Stress gewesen, mehr nicht. Aber welche Auswirkungen würde dieser Stress noch auf meine Psyche haben? Wenn ich nun jedes Mal so ausflippen würde, wenn ich einmal alleine unterwegs sein würde, wie lange würde ich dann noch einigermaßen klar denken können? Ich hatte wirklich schon genügend Ärger am Hals, da konnte ich mich nicht auch noch mit so einer

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