Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Wohnung, das hielt mich aber nicht davon ab, mir von ihr meine Wäsche machen zu lassen, oder mich von meinem Vater finanziell unterstützen zu lassen. Natürlich hatte der Nebenjob als Bademeister schon damals nicht ausgereicht, um meine Bedürfnisse befriedigen zu können. Seit ich den nicht mehr ausüben konnte, war ich noch mehr auf die Finanzspritzen meiner Eltern angewiesen. Seit dem Unfall sind sie natürlich nicht kleiner geworden. Wahrscheinlich wollten sie sich mit dem Geld von ihrem schlechten Gewissen freikaufen. Heute glaubten sie, dass sie mich viel zu früh hatten ausziehen lassen, obwohl vor allen Dingen mein Dad mich immer dafür gelobt hatte, dass ich unbedingt unabhängiger leben wollte.
Heute war ich abhängiger als je zuvor, welche Ironie! Verdammt! Ohne fremde Hilfe konnte ich noch nicht einmal pissen, außer ich hätte es in Kauf genommen, diese grässlichen Windeln zu tragen, in denen man sich fühlte, als wäre die Selbstachtung in einem Knäuel Mull gefangen. Lieber hätte ich mir die Hosen nass gemacht, als diese Dinger noch einmal zu tragen.
Die Krankenkasse hatte mir einen Pfleger zugewiesen. Der wischte mir nun den Arsch ab, badete mich, wie man einen kleinen Säugling badete.
Er hieß Manfred, und er hatte mehrere Gemeinsamkeiten mit mir. Auch er war knapp zwanzig, und auch er hatte ein gutes Abi gebaut. Er lebte auch nicht mehr bei seinen Eltern, sondern mit drei anderen Pflegern in einer Wohngemeinschaft. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie ihr gemeinsames Leben aussah, obwohl Manfred nicht viel davon erzählte. Sie würden wohl den ganzen Tag kiffen, und über die Übel der Welt philosophieren. Dabei verzehrten sie Unmengen von Müsli, das sie sich mit Kakerlaken teilen mussten, da Hygiene ein Fremdwort für sie war.
Aber eigentlich war Manfred ganz in Ordnung, obwohl er manchmal ziemlich stur sein konnte. Heute Morgen hatte er zum Beispiel darauf bestanden, dass ich die fehlenden Lebensmittel einkaufen müsste. Er wäre lediglich bei mir, um mir bei den Dingen zu helfen, die ich
nicht
alleine bewältigen konnte. Da er noch alle Fenster zu putzen hätte, wäre es langsam an der Zeit, dass ich auch einmal in unserer Zwangsgemeinschaft mit anpackte. Ich wusste genau, was seine Intention war, deshalb hatte ich mich auch nur halbherzig gewehrt, denn im Stillen war ich ihm dankbar, dass er mir in den Hintern getreten hatte. Natürlich war ich nicht absolut unselbstständig und ausschließlich auf Hilfe angewiesen, ich traute mich nur einfach nicht.
Heute Morgen hatte ich also den ersten
Schritt
gewagt, (sehr gute Beschreibung für die erste Solo
fahrt
mit dem Rollstuhl!), und war zu dem großen Abenteuer Einkauf gestartet. Dabei hatte ich einen kleinen Umweg gewählt, denn ich wollte nicht in den Supermarkt, der direkt neben unserem Haus war, da dieser zwei Stufen im Eingangsbereich hatte. Zwar hatte ich in der Reha-Klinik gelernt, solche Barrieren zu überwinden, doch ich fürchtete, es heute nicht zu schaffen, und dann wohlmöglich auf die Hilfe eines Passanten angewiesen zu sein. Ich wollte es auf jeden Fall vermeiden, jemanden um Unterstützung bitten zu müssen, egal, ob auf der Strasse oder im Geschäft. Mir waren diese Situationen einfach zuwider. Die unsicheren und mitleidigen Blicke der Menschen konnte ich nicht ertragen.
Also hatte ich den Supermarkt gewählt, der fünf Strassen weiter lag, in der Hoffnung, dort ohne Hilfe reinzukommen. Tatsächlich war ich auch ohne Komplikationen in den Laden gelangt. Allerdings bekam ich dort dann doch einige Schwierigkeiten.
Direkt nach meinem Eintreten, (schon wieder so eine treffende Umschreibung!), bot mir der Filialleiter seine Mithilfe an, die ich jedoch erfolgreich ablehnen konnte. Innerhalb des Ladens musste ich dann nur noch eine Hausfrau bitten, ihren Einkaufswagen etwas bei Seite zu schieben, was sie mit dem karitativen Lächeln einer mehrfachen Mutter tat.
Natürlich konnte ich von meinem Rollstuhl aus nicht die gesamte Höhe der Regale erreichen, so dass ich auf den Erwerb einiger Waren verzichten musste, aber ich würde Manfred einfach sagen, sie seien ausverkauft gewesen. Bestimmt würde er meine Lüge bemerken, sie aber ignorieren und die fehlenden Lebensmittel später selber besorgen.
Daran musste ich gerade denken, (und dass die kalte Milch auf meinem Schoss, meine Eier auf die Größe von Haselnüssen hatte zusammenschrumpfen lassen), als es sich das erste Mal ereignete.
Zuerst
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