Godspeed Bd. 2 - Die Suche
Toten schlecht fragen, was sie von dieser Theorie halten.
Ich stutze bei den Unterernährten und denen, die sich überfressen haben. Das muss mit dem Hamstern zu tun haben, vermute ich. Die Leute haben Angst, dass sie irgendwann nicht mehr genug zu essen haben werden, und heben es lieber auf, statt es gleich zu essen. Oder sie essen so viel sie können, bevor es nichts mehr gibt.
Ich muss wieder an Barties Warnung denken. Der Weg zur Revolution führt durch den Magen des Volkes.
Am Ende des Berichts angekommen, frage ich: »Zwei neue Schwangerschaften?«
Doc nimmt den Floppy wieder an sich und überfliegt die Liste, obwohl er genau wissen muss, was da steht. »Oh, ja«, bestätigt er, »beide haben auf der Station gelebt und freiwillig nicht an der Paarungszeit teilgenommen. Doch jetzt haben sie sich zur Fortpflanzung entschlossen.«
»Doc«, sage ich und die Neugier lässt meine Stimme heller klingen. »Um die Bevölkerungszahl an Bord zu erhöhen, war die Paarungszeit nicht die wirksamste Methode, oder?«
Doc schaltet den Floppy ab, legt ihn auf den Schreibtisch und schiebt ihn mit einem Finger so zurecht, dass er parallel zur Schreibunterlage liegt. »Ich, äh, wieso fragst du das?«
Ich rutsche so weit vor, bis ich nur noch auf der Vorderkante des Stuhls sitze. »Ich habe immer gedacht, dass die Paarungszeit vollkommen normal ist – wie bei Tieren, die sich zu bestimmten Zeiten vermehren. Aber mittlerweile ist nicht zu übersehen, dass die Paarungszeit kein bisschen normal ist. Und wenn sie etwas ist, das Sie und der Älteste eingeführt haben, und wir unsere Bevölkerungszahl immer noch erhöhen müssen, um die Verluste der sogenannten Seuche auszugleichen … also, dann ergibt die Paarungszeit keinen Sinn, oder? Ein einziger Fortpflanzungszyklus pro Generation? Das verringert doch unsere Zahl, statt sie zu erhöhen.«
»Nun, in manchen Generationen gab es zwei Paarungszeiten«, verteidigt sich Doc. »Und wir haben es so eingerichtet, dass manche Paare Zwillinge bekommen haben.«
Einen Moment lang sehen wir uns nur an.
»Es begann vor ein paar Generationen«, sagt Doc schließlich tonlos. »Wir dachten, es wäre eine gute Idee, das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Es ist auch so schon schwierig genug, ausreichend Nahrung zu produzieren.«
»Was passiert, wenn wir nicht mehr genug zu essen haben?«, will ich wissen.
Doc mustert mich schweigend, und ich merke, wie er mit sich ringt, ob er mir antworten soll oder nicht. Den Technikern kann ich befehlen, dass sie mir die Wahrheit sagen, und mir dabei auch sicher sein, dass sie es tun. Aber bei Doc kann ich nur abwarten und hoffen. Doc war mit der Phydus-Politik des Ältesten einverstanden und er war auch ein Anhänger von Orions Methoden – schließlich war er es, der Orion am Leben erhalten hat, nachdem der Älteste seinen Tod befohlen hatte. Aber ich glaube, dass Doc noch nicht entschieden hat, ob ich als Nachfolger für einen der beiden gut genug bin.
Aber offenbar kann man mir die Wahrheit doch anvertrauen. Zumindest in diesem Fall, denn Doc sagt schließlich: »Daran hat der Älteste auch schon gedacht. Wir haben über 3000 schwarze Medipflaster im Lager.«
»Schwarze?«, frage ich. »Ich habe die Dinger noch nie in Schwarz gesehen.«
Doc nickt. »Falls das Schiff nicht länger in der Lage ist, menschliches Leben aufrechtzuerhalten, werden wir die schwarzen Medipflaster an die Bevölkerung verteilen.«
Jetzt kapiere ich, wofür die schwarzen Medipflaster sind. Ein schneller Tod ist besser als ein langsamer.
16
Amy
Ich lehne Harleys Selbstporträt auf meinem Bett gegen die Wand und trete einen Schritt zurück. Seine lachenden Augen sind auf derselben Höhe wie meine.
»Nun«, sage ich zum gemalten Harley, »und wo ist nun dieser Hinweis, den Orion angeblich hinterlassen hat?«
Ich wage nicht, die Farbe zu berühren, denn ich will das Bild auf keinen Fall beschädigen. Also betrachte ich es nur ganz genau und suche nach einer versteckten Botschaft von Orion.
Dabei verliere ich mich in den Details des Gemäldes – Harleys Gesicht und die Sterne und der kleine Koi, der um seine Füße herumschwimmt. Das weckt Erinnerungen. Wie kann jemand, den ich nur so kurze Zeit gekannt habe, meine Seele so tief berühren?
Harley so frei und glücklich zu sehen, erinnert mich an die Freude, die er ausgestrahlt hat, dieses gewisse Etwas , das mich wünschen lässt, er wäre noch da.
Ich zwinge mich, nicht länger das Motiv anzusehen und
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