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Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Titel: Godspeed Bd. 2 - Die Suche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
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aus.« Sie fängt an, Harleys verstreute Zeichnungen einzusammeln. Deutlicher kann sie mir nicht zu verstehen geben, dass sie mit mir fertig ist.
    Ich wende mich zum Gehen. Mein Bild nehme ich mit. An der Tür drehe ich mich noch einmal um, aber Victria ignoriert mich. Sie hat die Papiere wieder auf den Tisch gelegt und streicht eines glatt. Ich werfe einen Blick über ihre Schulter auf die Zeichnung. Ich schätze, dass sie Junior darstellen soll, aber er sieht älter aus, und seine mit Kohle gezeichneten Lippen umspielt ein Grinsen, das ich beim echten Junior noch nie gesehen habe. Es ist ungewöhnlich, dass eine von Harleys Zeichnungen so ungenau ist.
    Victria bemerkt mich nicht, als ich mich ihr wieder nähere. Ich habe diesen sehnsüchtigen Ausdruck bei ihr noch nie gesehen. Eigentlich habe ich ihn bisher bei niemandem gesehen – oder doch, bei Harley, als er mir von Kayleigh erzählt hat.
    »Victria?«, sage ich zögernd.
    Sie zuckt zusammen und Harleys Zeichnung von Junior segelt über den Tisch. »Du hast doch dein Bild. Und jetzt verschwinde!«
    Ich mustere ihr Gesicht. Ihr Blick huscht noch einmal über die Zeichnung auf dem Tisch und verrät die Liebe, die sie empfindet.
    Ich gehe ohne ein weiteres Wort.
    Erst als ich wieder in meinem Zimmer angekommen bin und den Pinsel in die dicke weiße Farbe tauche, begreife ich, dass es gar keine Zeichnung von Junior war. Die Fältchen an den Augen, das schiefe Grinsen – es muss Orion gewesen sein.

15
    Junior
    Ich komme gerade aus dem Archiv, als sich Doc über die Dra-Kom meldet.
    »Wo bist du?«, fragt er.
    »Archiv.«
    »Gut. Komm zur Wand an der Gartenseite.«
    »Wieso?«
    »Das kann ich nicht erklären. Komm einfach.«
    »Aber ich wollte gerade …«
    »… zu Amy gehen?«, beendet er meinen Satz und seine Stimme drückt Verachtung aus.
    Ja, allerdings. Alles, woran mich Barties Ausbruch und das zerfetzte Gemälde erinnert haben, ist die Tatsache, dass Amy zu den wenigen Leuten auf diesem verdammten Schiff gehört, die nicht darauf warten, dass ich versage. Ich muss mich – noch einmal – bei ihr dafür entschuldigen, dass ich sie einen Freak genannt habe. Ich will ihr sagen, dass ich alles tun werde, was nötig ist, damit sie sich auf der Godspeedsicher fühlt. Ich will ihr auch sagen, dass wir ihre Eltern vielleicht doch aufwecken sollten, wenn es das Einzige ist, was das Lächeln wieder in ihre Augen zurückbringt. Doch obwohl ich ihr diesen letzten Vorschlag natürlich nicht machen kann, will ich ihr in die Augen sehen und dafür sorgen, dass sie weiß, dass ich es sofort täte, wenn ich könnte.
    Mein Schweigen reicht Doc als Antwort.
    »Junior, dies ist dein Job . Du kannst nicht entscheiden, wann du Ältester sein willst und wann nicht. Du. Bist. Immer . Der. Älteste. Auch wenn du den Titel nicht tragen willst.« Aha. Da ist die Standpauke, auf die ich gewartet habe.
    Ich seufze. »Ja, gut. Ich bin gleich da.«
    Docs Lehrling Kit erwartet mich im Garten. Eigentlich wollte Doc keinen Lehrling ausbilden, aber in seinem Alter muss man sich Gedanken über einen Nachfolger machen. Deswegen habe ich darauf bestanden. Von allen Krankenschwestern, die sich um die Ausbildung beworben haben, war Kit die beste. Nicht, was das Medizinische angeht – Doc beschwert sich ständig, wie langsam sie lernt –, aber sie kann am besten mit Menschen umgehen, und ich habe entschieden, dass Doc eine menschlichere Mitarbeiterin gut brauchen kann. Sehr glücklich war er nicht darüber, aber er hat sich meiner Anweisung gefügt.
    »Danke«, sagt Kit. »Wir wussten nicht, was wir tun sollen.«
    »Was ist denn los?«, frage ich und folge ihr vorbei an den Blumen und dem Teich zur Metallwand hinter dem Garten.
    Doc hockt auf dem Boden und ausnahmsweise scheinen ihn der Schmutz und die Grasflecken auf seiner Hose nicht zu stören.
    An der Wand kniet eine Frau. Sie sieht ein bisschen so aus wie auf den Bildern von der Sol-Erde, auf denen Leute beten – ihre Hände liegen mit den Handflächen nach unten auf dem Boden, ihr Körper ist vornübergebeugt und das Gesicht an die Metallwand gedrückt.
    »Sie will nicht aufstehen«, sagt Doc.
    Ich hocke mich neben sie. »Was fehlt ihr denn?«
    Doc schüttelt den Kopf. »Sie will einfach nicht aufstehen.«
    Ich lege der Frau eine Hand auf den Rücken. Sie verzieht keine Miene – sie scheint meine Anwesenheit gar nicht wahrzunehmen. Meine Hand wandert hoch zu ihrer Schulter und ich übe so sanften Druck aus, wie ich kann, bis

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