Godspeed Bd. 2 - Die Suche
hinter ihnen her. Die Leere in Evies Augen war schlimmer als die Willenlosigkeit der Versorger, als sie noch unter dem Einfluss von Phydus standen. Ich muss wieder an Amys dumpfen, von Phydus betäubten Blick denken – Doc war der Meinung gewesen, dass sie es schlecht vertragen hat. Hat Evie es vielleicht nicht vertragen, kein Phydus mehr zu bekommen?
»Bring sie in eines der Zimmer in vierten Stock«, weist Doc Kit an.
Ich werfe Doc einen prüfenden Blick zu, als Kit mit Evie zum Fahrstuhl geht.
»Im vierten Stock sind jetzt ganz normale Krankenbetten«, beteuert Doc sofort. Er weiß, woran ich denke – an die Grauen, die Doc auf Anweisung des Ältesten eingeschläfert hat, um Platz für die Jüngeren zu machen. »Möchtest du jetzt den wöchentlichen Bericht hören, wo du gerade hier bist? Wir können in mein Büro gehen.«
Ich nicke und folge ihm schweigend in den Fahrstuhl. Im dritten Stock steigen wir beide aus und lassen Kit und Evie allein in den vierten weiterfahren. Doc führt mich in sein Büro. An Amys Zimmertür zögere ich kurz. Ich würde nur zu gern zu ihr gehen. Ich will sie so lange um Verzeihung bitten, bis sie meine Entschuldigung annimmt. Aber ich tue es nicht, sondern folge Doc in sein Büro.
»Im Krankenhaus herrscht zur Zeit Hochbetrieb«, sagt Doc. »Dies ist das erste Mal seit zwei Tagen, dass ich wieder ins Büro komme. Also entschuldige bitte die Unordnung.«
Ich schnaufe amüsiert. Das Büro sieht tadellos aus, was Doc aber nicht daran hindert, sofort die Papiere auf seinem Schreibtisch geradezurücken.
Im Krankenhaus war in letzter Zeit wirklich mehr los. Prellungen und Platzwunden von Schlägereien. Verletzungen durch Geräte, die sich die Bauern bei sinnlosen Tagträumereien zugezogen haben, die unter Phydus undenkbar gewesen wären. Ein paar Leute, die unüberlegte Sachen gemacht haben, nur um zu beweisen, wie viel Mut sie haben. Und dann noch … ein paar ziemlich merkwürdige Fälle, in denen die Menschen sich selbst oder einander verletzt haben, nur weil sie plötzlich in der Lage sind, etwas zu fühlen, und es ihnen egal ist, was sie fühlen. Hauptsache sie fühlen es.
Amy hatte gesagt, dass sie an der Zahl der Leute, die täglich ins Krankenhaus strömten, gut erkennen konnte, wie schnell die Wirkung von Phydus nachließ.
Mein Magen krampft sich beim Gedanken an Amy zusammen. Sie ist nur ein paar Schritte entfernt auf der anderen Gangseite und sitzt vermutlich in ihrem Zimmer und hasst mich.
»Mein Report«, sagt Doc und schiebt einen Floppy über den Tisch, bevor er sich hinsetzt.
Bevor ich ihn mir ansehe, frage ich: »Wird Evie wieder gesund?«
Doc nickt. »Das Phydus-Pflaster ist wie jedes andere Medipflaster – nur, dass die Medizin in diesem Fall eine Abwandlung von Phydus ist. Sie ist stark genug, um schnell zu wirken, aber ich habe für alle Fälle auch ein Pflaster mit einem Gegenmittel entwickelt.«
Es gefällt mir immer noch nicht, irgendeine Form von Phydus zu verwenden, aber wenigstens gibt es jetzt ein Gegenmittel. Ich verfolge das Thema nicht weiter.
Einen Moment lang überlege ich, Doc zu sagen, was ich über das Schiff erfahren habe; dass wir uns nicht mehr bewegen. Hätte der Älteste das gewusst, hätte er es Doc gesagt. Aber ich bin nicht der Älteste und Doc ist nicht mein Freund. Also sage ich nichts und betrachte stattdessen den Bericht, den Doc mir gegeben hat.
KRANKENSTANDSREPORT
Aktuelle Bevölkerungszahl: 2763
Abgänge: –2
Jordy, Rancher: Suizid
Ellemae, Gewächshausarbeiterin: Komplikationen nach äußeren Verletzungen
Krankheiten und Verletzungen:
+3:
Infektionen durch bestehende Verletzungen
+18:
Gastroenteritis durch fehlerhafte Nahrungszubereitung
+6:
Arbeitsunfälle
+9:
selbst zugefügte Verletzungen und Gewalttaten
+43:
durch Alkohol verursachte Probleme (Vergiftungen, Verletzungen etc.)
+24:
Unterernährung
+63:
übermäßige Nahrungsaufnahme
Psychologische und gesundheitliche Probleme
-1:
Depression
(selber Bereich): Hamstern von Nahrungsmitteln
+6:
Hypochondrie
+2:
abweichendes Sexualverhalten
Medizinische Anmerkungen
+2:
Schwangerschaften
Ich klicke die Todesfälle an, lese die Namen und präge sie mir ein. Die schlichte Wahrheit ist: Hätte ich den Menschen nicht Phydus weggenommen, wären Leute wie Jordy und Ellemae noch am Leben. Natürlich kann ich jetzt einfach behaupten, ein kürzeres Leben mit richtigen Gefühlen ist besser als ein langes ohne, aber ich kann die
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