Göring: Eine Karriere (German Edition)
zum ersten Mal seit ihrem Abschied in Fischhorn bei Kriegsende wiedergesehen. »Du kannst mit ruhigem Gewissen sterben. Du hast hier in Nürnberg alles getan, was du für deine Kameraden und für Deutschland tun konntest«, erklärte sie ihm beim Abschied. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1973 blieb Emmy Göring von der Größe ihres Gatten überzeugt. In ihren Lebenserinnerungen stellte sie ihm noch Ende der sechziger Jahre das verklärende Zeugnis eines liebenden Gatten und Vaters aus, eines ebenso loyalen wie gutmütigen Gefolgsmanns Hitlers.
Am 9. Oktober 1946 lehnte der Alliierte Kontrollrat Görings Antrag ab, nicht wie ein Verbrecher gehängt, sondern »ehrenvoll« erschossen zu werden. Einige Tage später erfuhr der Verurteilte, dass seine Hinrichtung voraussichtlich am 16. Oktober stattfinden werde. In der Zelle plante Göring nun seinen letzten Überraschungscoup. Unter dem Datum des 11. September schrieb er einen Abschiedsbrief an seine Frau, der nach seinem Tod zusammengefaltet in seiner Hand gefunden wurde: »Mein einziges Herzlieb! Nach reiflichem Überlegen und innigem Gebet zu meinem Gott habe ich mich entschlossen, selbst in den Tod zu gehen, und mich nicht auf diese Weise durch meine Feinde hinrichten zu lassen. Den Tod durch Erschießen hätte ich jederzeit auf mich genommen. Aber aufhängen kann sich der Reichsmarschall Deutschlands nicht lassen. … Ich nehme es als einen Wink von Gott, dass er mir das Mittel, das mich frei von Irdischem macht, durch all die Monate der Gefangenschaft belassen hat und dass es nicht gefunden wurde. … Dein Hermann.«
Er war sich von Anfang an voll bewusst, dass es in Nürnberg keinen Ausweg gab, das konnte man sehen. Wenn er jemals an das »Tausendjährige Reich« geglaubt hätte – jetzt wusste er, dass es nach zwölf Jahren zu Ende war.
Ernest Uiberall, Dolmetscher in Nürnberg
In der Nacht zum 16. Oktober – die Hinrichtung sollte kurz nach Mitternacht beginnen – lag Göring im Pyjama auf der schmalen Gefängnispritsche. »Bis etwa 22.40 Uhr lag er absolut bewegungslos da«, berichtete Görings letzter Bewacher, Obergefreiter Harold Johnson, später der Untersuchungskommission, »dann legte er seine gefalteten Hände auf die Brust und drehte den Kopf zur Wand. Etwa zwei oder drei Minuten lag er so da, dann legte er die Hände wieder an den Körper. Es war genau 22.44 Uhr, denn ich sah in diesem Augenblick auf meine Uhr, um die Zeit festzustellen.« Nachdem Johnson vom Sichtfenster der Zellentür zurückgetreten war, öffnete Göring den Kopf der Metallkapsel, die er in seiner Hand verborgen gehalten hatte, und hob sie zum Mund, bis die Glasampulle, die sie enthielt, herausglitt. Er nahm den Kopf der Ampulle zwischen seine Zähne und biss fest zu. Das herabrinnende Zyankali entrang ihm ein unterdrücktes Stöhnen – laut genug, um den Wachposten vor der Tür stutzig zu machen. Auf seinen Alarmschrei hin stürzten der Wachoffizier und der Gefängnisarzt in die Zelle – zu spät. Alle Wiederbelebungsversuche scheiterten, wenige Minuten später war Hermann Göring tot. Wie angekündigt, hatte er sich dem Tod durch den Strang in letzter Minute entzogen.
Der Selbstmord des »Nazi number one« nur wenige Stunden vor seiner Hinrichtung rief sofort eine alliierte Untersuchungskommission auf den Plan: Wie war es Göring gelungen, die Giftampulle, die man doch vielen NS-Prominenten bei ihrer Gefangennahme abgenommen hatte, durch alle Kontrollen in die Zelle zu schmuggeln? In einem Brief an den Gefängniskommandanten, der beim Toten gefunden wurde, gab Göring selbst eine Antwort auf diese Frage. Bei seiner Einlieferung in Mondorf, schrieb er Andrus, habe er drei Giftkapseln mit sich geführt. Eine habe er absichtlich in seinen Kleidern gelassen, damit man sie entdeckte. Eine andere habe er in seinen Zellen in Mondorf und Nürnberg so gut versteckt, dass »sie trotz der häufigen und sehr gründlichen Revisionen nicht gefunden werden konnte«. Die dritte Kapsel befinde sich noch immer in seinem Toilettenkoffer in einer Dose mit Hautcreme – was tatsächlich stimmte. Der Brief und die aufgefundene Kapsel legten nahe, dass der listige Reichsmarschall seine Bewacher an der Nase herumgeführt hatte. Die alliierte Untersuchungskommission übernahm Görings Version im Wesentlichen und vermutete, dass er die Giftampulle in der hohen Rille seiner Zellentoilette versteckt gehalten hatte. Schon damals und bis heute bezweifeln freilich viele diese Version. So sind William
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