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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Gebräuche und Zeremonien sind ihm ihrer Herkunft und Bedeutung nach bald so vertraut, daß er sie stolz seinen Kameraden erklären kann.
    Das war die Welt der Stadt, verwirrend gegenwärtig, laut, und geheimnisvoll raunend aus der Vergangenheit. Man war von Menschen und von Menschenwerk umgeben, die Natur war jenseits davon, sie war das Ziel von Ausflügen. Das Stadtkind mußte sie eigens aufsuchen oder sehnsüchtige Blicke in die Ferne richten, etwa vom zweiten Stockwerk des Hauses aus, wo der Kleine seine Lektionen lernte und am Fenster über die Häuserdächer, die Gärten und Stadtmauern hinausschaute
in eine schöne fruchtbare Ebene; es ist die, welche sich nach
Höchst
hinzieht.
Bei untergehender Sonne konnte er sich an dem Anblick nicht satt sehen.
    Wolfgang war ein hochbegabter Junge, aber kein Wunderkind, wie etwa Mozart, den er einmal bei einem virtuosen Auftritt erlebte. Wolfgang faßte schnell auf, besonders die Sprachen flogen ihm zu, Italienisch, Französisch, Englisch, Latein, Griechisch beherrschte schon der Knabe ziemlich gut, und Hebräisch konnte er immerhin lesen. Mit Cornelia, die ähnlich sprachbegabt war, heckte er noch im zarten Kindesalter den Plan aus, einen Roman in sechs Sprachen zu schreiben. Dazu kam es nicht, aber bei ihrem Briefverkehr in der Leipziger Zeit wechselten die beiden mühelos ins Französische und Englische. Die Bibel wurde lateinisch und griechisch gelesen, und den Knaben faszinierten ihn vor allem die alttestamentarischen Geschichten aus der Patriarchenzeit. In »Dichtung und Wahrheit« erzählt er die Josephs-Geschichte nach, so wie sie sich ihm in der Jugendzeit eingeprägt und wie er sie schon damals aufgeschrieben hatte. Er habe dabei, so Goethe im Rückblick, innere Sammlung und Friede gefunden,
wenn es auch draußen noch so wild und wunderlich herging
.
    Er schrieb unablässig seine Kladden voll, und es kam ihm zugute, daß er dem Doktor Clauer diktieren konnte, einem hilflosen, schwer gemütskranken Menschen, der vom Vater als Mündel im Hause aufgenommen worden war. Clauer ließ sich gerne diktieren und schrieb auch ab, das beruhigte ihn. An schlimmen Tagen hörte man ihn in seinem Zimmer toben. Der Wahnsinn hauste nebenan.
    Der junge Goethe verschlang alle für ihn erreichbare Literatur, von den juristischen Schwarten, die er in Vaters Bibliothek fand, über Klopstocks »Messias«, Schnabels »Insel Felsenburg« bis zu den teils pathetischen teils schlüpfrigen französischen Theaterstücken eines Racine oder Voltaire; und immer wieder las er in der Bibel, die für ihn ein Buch reizvoller Geschichten war – wie später »Tausendundeine Nacht«. Dabei war er stets bestrebt, das Erworbene, Angelesene sogleich
zu verarbeiten, zu wiederholen, wieder hervorzubringen
. So entstanden zahlreiche kleine Theaterstücke, Gedichte, epische Fragmente – alles schnell hingeworfen und mit bemerkenswertem Geschick gängige Formen und Themen traktierend. Er konnte sich offenbar mühelos in Stillagen einfühlen, beispielsweise in das protestantisch-orthodoxe Pathos der »Poetischen Gedanken über die Höllenfahrt Christi«, ein Elaborat des Sechzehnjährigen, das in schauerlichen Bildern den
Höllen-Sumpf
beschwört und sich lustvoll in Bestrafungsphantasien ergeht, um dann mit dem triumphierenden Christus emporzusteigen:
Die Blitze glüh’n. / Der Donner faßt die Übertreter, / Und stürzt Sie in den Abgrund hin // Der Gott-Mensch schließt der Höllen Pforten, / Er schwingt Sich aus den dunklen Orten, / In Seine Herrlichkeit zurück.
Ein paar Jahre später, in Leipzig, war ihm dieses Gedicht peinlich und er bedauerte, es nicht vernichtet zu haben wie manche anderen frühen Werke.
    Die frühen Schreibübungen sind meist musterschülerhaft, doch bisweilen auch keck, wie der Dialog mit einem Kameraden namens Maximilian, ursprünglich lateinisch abgefaßt und von ihm selbst ins Deutsche übertragen. Wie vertreiben wir uns die Zeit, bis der Lehrmeister kommt, fragt Maximilian, und Wolfgang antwortet: mit Grammatik. Maximilian ist das zu langweilig, er schlägt vor, mit den Köpfen gegeneinander zu rennen und zu sehen, wer es länger aushält.
Das sei ferne
, antwortet Wolfgang,
meiner schickt sich wenichstens dazu nicht.
〈...〉
wir wollen dieses Spiel den Böcken überlassen
. Aber man bekomme doch durch diese Übung wenigstens einen harten Kopf, erwidert Maximilian. Darauf Wolfgang:
Das wäre uns eben keine Ehre. Ich will meinen lieber weich behalten.
    Solche ›Dialoge‹

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