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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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auch, besonders jene, die von seinem Mißgeschick wußten. Alles erschien ihm plötzlich in düsterem Licht, auch der Vater.
Und sah ich ihn nicht, nach so viel Studien, Bemühungen, Reisen und mannigfaltiger Bildung endlich zwischen seinen Brandmauern ein einsames Leben führen, wie ich mir es nicht wünschen konnte?
Er will weg, an die Universität. Auch der Vater war der Meinung, daß der begabte Sohn, der inzwischen so vieles wie im Spiel gelernt hatte, nun mit einem ernsthaften Studium beginnen sollte. Den Sohn zog es nach Göttingen, zu den besten Lehrern der Altertumskunde, Heyne, Michaelis. Durch ein gründliches Studium der ›Alten‹ wollte er seinem schnellfertigen Dichten mehr Gewicht und Substanz verleihen. Er suchte Disziplin und Strenge und strebte ein akademisches Lehramt in den ›Schönen Wissenschaften‹ an. Der Vater aber drang auf das Studium der Jurisprudenz in Leipzig, wo er selbst einst studiert hatte. Er unterhielt noch einige Verbindungen dorthin, die er spielen lassen konnte. Stundenlang erzählte er von seinen dortigen Erlebnissen und Studien. Der Sohn ließ den Vater reden und machte sich
kein Gewissen
daraus, insgeheim an seinen literarisch-philologischen Plänen festzuhalten. Eine
Impietät
nennt er das rückblickend.
    Im Herbst 1765 wurde Abschied gefeiert von den Jugendgefährten. Auch sie durften nicht an den Studienort ihrer Wünsche. Johann Jakob Riese ging nach Marburg, Ludwig Moors nach Göttingen; Johann Adam Horn mußte noch ein halbes Jahr in Frankfurt bleiben, bis auch er in Leipzig sein Studium antreten durfte. Deshalb mußte ›Hörnchen‹, so wurde er genannt, für die scheidenden Freunde die Abschiedsfeier ausrichten. Auch er war ein Reimeschmied, und da er wußte, daß Goethe anderes im Sinn hatte als Jura, gab er ihm die folgenden holprigen Verse mit auf den Weg: »Zieh froh ins muntre Sachsen, wohin du lang getracht. / Ins Land wo man die schönste und beste Verse macht. / 〈...〉 / Du hast von Kindesbeinen der Dichtkunst nachgestrebt, / Drum zeig uns daß dich diese mehr als das Jus belebt / 〈...〉 / Zeig’ daß dir deine Muse noch immer günstig ist, / Und daß du auch in Leipzig, wie hier, ein Dichter bist.«
    Als ein in Decken und Mäntel eingepackter Knabe, so schildert sich Goethe, reiste er in der Kutsche eines Buchhändlers nach Leipzig mit großem Gepäck, denn der angehende Student führte seine Lieblingsbücher, seine Manuskripte und eine umfangreiche Garderobe mit sich. Sechs Tage war man unterwegs. In der Gegend von Auerstedt blieb der Wagen im Schlamm stecken:
Ich ermangelte nicht, mich mit Eifer anzustrengen, und mochte mir dadurch die Bänder der Brust übermäßig ausgedehnt haben; denn ich empfand bald nachher einen Schmerz, der verschwand und wiederkehrte und erst nach vielen Jahren mich völlig verließ
.
    Leipzig war damals eine Stadt so groß wie Frankfurt, etwa dreißigtausend Einwohner lebten dort. Aber anders als Frankfurt war sie nicht altertümlich verwinkelt, sondern hatte ein neues Gepräge: Breite Straßen, einheitliche Fassaden, am Reißbrett entworfene Wohnquartiere mit den berühmten umbauten Höfen, die wie Plätze wirkten, auf denen sich ein reges geschäftliches und geselliges Leben abspielte. An einem dieser Höfe war auch die Wohnung des Studenten gelegen; sie war komfortabel und hell und bestand aus zwei Zimmern, nur ein paar Schritt entfernt von ›Auerbachs Keller‹, wo der junge Student bald häufig einkehrte. Leipzig war, wie auch Frankfurt, eine Messestadt, die ein bunt gemischtes europäisches Publikum anzog. Man konnte malerische, auffallende Trachten sehen und ein internationales Sprachengewirr hören. Es sei alles noch bunter, vielfältiger, lauter als in Frankfurt, schrieb Goethe mit einigem Stolz an Cornelia. Besonders die Griechen, diese Nachfahren eines alten Volkes, das er nur aus Büchern kannte, hatten es ihm angetan. Während der Messe hatten die Studenten bei großem Andrang ihre Zimmer und Wohnungen den Kaufleuten zu überlassen. Das betraf auch Goethe, der sich zeitweilig mit einer winzigen Dachstube in einem Wirtschaftsgebäude am Stadtrand bescheiden mußte. Man war in Leipzig weniger gegen den Wind geschützt als im verwinkelten Frankfurt. Deshalb plagten Goethe hier immerfort Erkältungen. Man spottete über seine rote Nase.
    Die Umwallung der Stadt war Anfang des Jahrhunderts niedergelegt und mit Linden bepflanzt worden. Hier wurde promeniert, hier ließ man sich sehen. Man zeigte sich galant,

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