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Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)

Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)

Titel: Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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sprühten, die
Frontscheibe splitterte, endlich blieben wir auf dem Dach liegen.
    Ich
versuchte, mich zu orientieren. Wir waren eingeklemmt. Draußen erklangen
Stimmen. Meine Knochen waren offensichtlich noch heil. Kaum zu glauben. Wo war
Benno? Ich drehte vorsichtig meinen Kopf. Was ich sah, ließ mein Innerstes
erstarren. Die gesamte rechte Seite des Autos war bis zum Schaltknüppel
eingedrückt. Bennos Körper lag irgendwo dazwischen, überall Blut, blanke
Knochen, ein leichtes Stöhnen.
    »Benno!«
Ich konnte mich nicht bewegen. »Bennooooo!«
    Eine schwache
Stimme kam aus dem Chaos: »Hendrik, ich muss dir was sagen …«
    »Benno,
bleib ruhig!«
    »Es ist
wichtig, Hendrik, ich … ich habe Sophie schon so lange nicht mehr gesagt, dass
ich sie liebe. Sagst du ihr das bitte?«
    »Aber
Benno …«
    »Bitte!«
    »Ja,
ich sage es ihr, Benno!« Ein seltsames Geräusch erklang, so wie ein Knochen,
der auf Metall schlägt.
    »Benno?«
Im selben Moment wusste ich, dass er tot war. Ein lautes, fast schon tierisches
Schmerzgeheul erfüllte den engen Innenraum des Wagens. Lange merkte ich nicht,
dass es aus meinem eigenen Mund kam.

35. Auf einer Bank
    Ich wurde in die
Autobahnmeisterei Alsfeld gebracht, dort holte mich Hanna ab. Auf dem Rückweg
bat ich sie, einen Abstecher nach Friedrichroda zu machen. Ich musste
nachdenken. Sie setzte mich auf dem Parkplatz ab, den schon meine Großeltern
immer angefahren hatten. Es war kein gutes Wetter, aber ich lief schnell,
getrieben, rastlos, immer weiter bis zu der Bank, auf der ich den verschmutzen
Siebträger meiner Espressomaschine aus dem Rucksack geholt hatte. Ein wenig
musste ich lächeln, wenn ich daran dachte. Doch dann kamen die Bilder des
Unfalls wieder in mir hoch.
    Es ist
schwer, mit Schuld umzugehen. Das wussten wir beide, Benno und ich. Seine
Schuld hatte ich ihm gnadenlos vor Augen geführt, mit der vermeintlichen
Ehrlichkeit eines Freundes. Über meine Schuld, die ich am 5. November 2007 bei
Kilometer 396 der A 5 auf mich geladen hatte, würde das Amtsgericht Alsfeld in
einigen Wochen entscheiden. Ich hoffte fast, dass ich verurteilt wurde. Um zu
büßen. In welcher Form auch immer.
    Auch
meiner Frau war ich noch etwas schuldig. Die kleine Notlüge wegen der Nacht im
Keller der Weimarhalle musste aufgeklärt werden. Und natürlich die Ereignisse
im Südbahnhof. Das würde schwer werden. Aber ich würde es schaffen, mit Hannas
Entgegenkommen. Denn nach wie vor herrschte dieses Urvertrauen zwischen uns.
Wie oft in solchen Momenten, half mir ein Goethe’sches Gedicht:
     
    Freudvoll
    Und
leidvoll,
    Gedankenvoll
sein,
    Hangen
    Und
bangen
    In
schwebender Pein,
    Himmelhoch
jauchzend,
    Zum
Tode betrübt –
    Glücklich
allein
    Ist die
Seele, die liebt.
     
    Ein anderer Mensch zeigte
keinerlei Schuldbewusstsein, obwohl genügend Anlass dazu bestand: Reinhardt
Liebrich. Der Haftbefehl gegen ihn war wegen schwacher Beweislage abgelehnt worden.
Er würde aus seiner eigenen, makabren Realityshow ungeschoren hervorgehen.

36. In einem Herz
     
    Pierre wusste genau, wie der
letzte Akt aussehen würde. Während der langen Fahrt von Frankfurt nach Weimar
mit einem Zwangshalt bei Wildeck-Hönebach – der Tank war leer – und Weiterfahrt
per Anhalter hatte er sich den Ablauf genau überlegt. Und nun war die Zeit
gekommen, diese Gedanken in die Tat umzusetzen.
    Er
betrat das Weimarer Nationaltheater durch den Bühneneingang, winkte dem Portier
zu, stieg die Treppen hinauf und setzte sich auf den Platz des Beleuchters. Er
wartete. Weit unten ließ die Notbeleuchtung nur einen schemenhaften Blick auf
die Bühne zu. Das Blut tropfte hinab. Fast schon belustigt dachte er an die
mörderischen Dramen. Shakespeares Richard III. zum Beispiel. Viel rote Farbe
brauchte man bei solch einer Aufführung, aber diesmal war es echtes Blut. Sein
eigenes. Er spürte kaum noch seinen Atem, hoffte, dass sein Peiniger kommen
würde, bevor er das Bewusstsein verlor, beruhigte sich dann aber selbst, denn
er kannte seinen Feind genau, er wusste, was in ihm vorging, hatte den Vorgang
schon oft beobachtet. Irgendwann betrat Reinhardt Liebrich endlich die Bühne.
Er stand im Halbdunkel da, die Arme ausgebreitet, um seine so heiß geliebte
Macht in die Leere des Zuschauerraums strömen zu lassen. Dann traf ihn der
erbarmungslose Lichtkegel des großen Scheinwerfers. In all seiner Kläglichkeit
stand er da, mutterseelenallein. Er sah nicht, dass er Blut an den Füßen hatte.
Er sah nur erstaunt nach oben.

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