Götter der Nacht
keinen Gedanken mehr; der Schädel dieses Scheusals ist so hölzern wie eine alte Etulie und so leer wie das Grab von Aluén.
Sein vollständiger Name lautet Gors’a’min Lu Wallos, doch er wird von allen einfach Gors genannt, oder auch Gors der Zimperliche, natürlich nur hinter seinem Rücken. Nicht etwa, weil er Schmerzen scheut, sondern weil er sie anderen so gern zufügt.
Einen Hünen wie ihn habe ich noch nie gesehen. Er überragt sogar noch den Arkarier, der Dyree im Kleinen Palast die Nase gebrochen hat. Und er ist stark. Ich habe erlebt, wie er im Schlingenwurf gegen drei blutig gepeitschte Pferde gekämpft hat. Die Tiere brachen tot zusammen, nachdem er ihnen zehn Schritte abgerungen hatte.
Seine Dummheit, seine Trinksucht, seine ständigen Wutausbrüche und vor allem der Mangel an Respekt mir gegenüber sind unerträglich. Aber ich muss zugeben, dass er seinen Männern absoluten Gehorsam eingedrillt hat. Das Pack ist ja vom selben Schlag.
Auch Dyree wird bald zu uns stoßen. Mein Gehilfe ist der einzige Novize, der die Arena des Lus’an mit zwölf Hati verlassen hat. Anstatt sich mit seiner Waffe zu begnügen, forderte er die anderen Jungen zum Kampf heraus, um auch ihre Trophäe zu erbeuten. Womöglich hätte er sich sämtliche Waffen erkämpft, wenn ich die Prüfung, die ich damals beaufsichtigte, nicht beendet hätte. Dyree ist der beste Krieger, den ich je gesehen habe. Selbst ohne Hati könnte er vielleicht sogar Gors den Zimperlichen schlagen.
Leider ist meinem Gehilfen wenig daran gelegen, als gleichwertiges Mitglied der Dienerschaft Zuïas anerkannt zu werden. Sich ›Zadyree‹ nennen zu dürfen. Ich bezweifle, dass er wirklich an die Göttin glaubt.
Sein Platz an meiner Seite erhebt ihn in den Rang eines Boten. Er kümmert sich um die Verräter, und diese schwierige Aufgabe spornt ihn ungemein an. Er liebt Beute, die sich zu wehren versucht. Er liebt den Sieg.
Er liebt es ganz einfach, zu töten. Bald wird er zu uns stoßen.
Ich werde ihm die Sklaven unterstellen, die mittlerweile zu zahlreich sind, um von einem einzigen Hauptmann geführt zu werden, selbst wenn diesem eine zweihundert Mann starke Kompanie zur Verfügung steht. Ich weiß noch nicht, was mein Meister mit ihnen vorhat. Angesichts seines unermesslichen Reichtums bezweifle ich, dass er sie verkaufen will. Vielleicht wird er sie Frondienst leisten lassen? Aber wofür? Inwiefern hilft uns das auf dem Weg zur Vollendung des Großen Werkes?
Vorläufig ist das Gebet die einzige Pflicht, die den Sklaven auferlegt ist. Sie dürfen ihre Religion nicht wählen. Sie vollziehen
einen einfachen Ritus, der ihnen vorgeschrieben wird. Und sie beten die Gottheit mit der ganzen Kraft der Verzweiflung an.
Mein Meister hat eine gewisse Emaz Chebree zur Hohepriesterin dieses Gottes geweiht, der Sombre genannt wird. Ich weiß nicht, ob Sombre sein tatsächlicher Name ist oder nur eine gebräuchliche Anrede, die an die Stelle seines ursprünglichen Namens getreten ist. Mir ist kein anderer Titel für diesen Neuankömmling unter den Unsterblichen bekannt. Chebree jedenfalls weiß ihn zu beschreiben, zu beschwören, zu verklären, sie verehrt ihn und lässt ihn verehren, diesen furchterregenden Gott, den mein Meister auserwählt hat.
Viele unserer Krieger treten zu dieser neuen Religion über. Aus Sombre ist der Bezwinger geworden, und diese Eigenschaft gefällt ihnen. Mein Meister sieht mit Befriedigung, wie schnell sich die neue Religion verbreitet.
Ich bleibe Zuïa natürlich treu, auch wenn Chebree große Überzeugungskraft besitzt. Den Titel der Emaz nehme ich ihr nicht ab. Es würde mich wundern, wenn sie die Heilige Stadt Ith überhaupt schon einmal betreten hätte. Aber sie ist eine leidenschaftliche und berechnende Frau, weshalb sie meine Anerkennung verdient. Außerdem ist sie ehrgeizig und hat damit meine Achtung gewonnen … und mein Misstrauen.
Der Letzte der Verkünder ist kein Geringerer als der Sohn des Meisters. Zumindest halten wir ihn dafür, und der Meister hat dem nie widersprochen. Er ist ein junger Mann von schönem Wuchs, aber seine Gesichtszüge sind für einen Goroner eher untypisch.
Seine Fähigkeiten sind mir unbekannt. Er schläft viel und rührt sich kaum, wenn er wach ist. Er scheint uns weder zu sehen noch zu hören. Allein unser Meister ruft etwas Aufmerksamkeit in seinen Augen wach.
Seine Augen. Ich kann seinen Blick nicht ertragen. Er ist leer. Er ist düster.
ERSTES BUCH
DAS ALTE LAND
D ie Tür der
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