Götter der Nacht
dringend Hilfe. Ich belohne jeden Hinweis auf einen Heiler, der ihn retten kann, mit einer Goldterz.«
»Lorelisches Geld ist hier nichts wert«, brummte der Mann.
»Ihr habt die Wahl: eine Goldterz oder ein Gespräch mit meinem Freund Bowbaq. Und damit meine ich ein sehr eingehendes Gespräch. Wer meldet sich?«
Es verstrichen noch einige Augenblicke, bevor sich einer der Rominer zu einer Antwort durchrang.
»Mein Bruder Vi’at ist Heiler«, gab der Mann widerstrebend zu. »Gegen eine Terz führe ich Euch zu ihm. Aber ich kann nicht versprechen, dass er bereit ist, Euch zu helfen. Er ist ein waschechter Helanier, genau wie ich. Er spricht noch nicht einmal mit Presdaniern, geschweige denn Fremden wie Euch.«
»Ich werde ihn schon zu überzeugen wissen«, sagte Rey mit heimtückischem Grinsen und ließ von dem Wirt ab. »Meine Argumente sind sehr schlagkräftig.«
Sanft schaukelte die Othenor auf dem klaren Wasser an der Mündung der Rochane auf und ab, als müsste sie sich von den vielen hundert Meilen erholen, die sie im vergangenen Mond zurückgelegt hatte. Das Schiff schien in der gleichen Verfassung zu sein wie seine Passagiere: müde, entkräftet und niedergeschlagen.
Seit ihrer Ankunft in Trois-Rives wachte Yan an Grigáns Seite, damit sich Corenn ausruhen konnte. Der junge Mann hatte die Othenor in Rekordgeschwindigkeit zum Festland gelenkt. Noch in der vorigen Nacht waren sie auf der Heiligen Insel der Guori gewesen. Seither hatte er kein Auge zugetan.
Maz Lana unterbrach ihre Gebete für eine Weile, um den jungen Kaulaner zu beobachten. Yan hatte Usul gesehen. Er hatte mit einem Gott gesprochen. Seitdem waren nicht mehr als zehn Sätze über seine Lippen gekommen. Natürlich machte er sich entsetzliche Sorgen um Grigán, wie alle anderen auch. Aber war das wirklich alles? Wusste Yan etwas, von dem sie nichts ahnten?
Der Anstand gebot ihr, sich zuerst um den verletzten Krieger zu sorgen, bevor sie an die Fortsetzung ihrer Suche dachte. Dennoch betete Lana zu Eurydis, sie möge Yans Qualen lindern. Er war noch viel zu jung, um ein solches Leid zu ertragen.
Da erschien Léti in der Tür zur »Kapitänskabine«, wie sie die kleinere der beiden Kajüten zu nennen pflegten. Während der Überfahrt hatte die junge Frau fast ununterbrochen geweint. Nun waren ihre Tränen versiegt, und ihre Miene wirkte wie versteinert: die Stirn gerunzelt, der Mund verkniffen, der Blick schneidend. Sie verachtete Ungerechtigkeit. Und sie hasste das Gefühl der Ohnmacht.
»Sie kommen«, sagte sie knapp. »Sie haben jemanden mitgebracht.«
Lana ging Corenn wecken, was nicht weiter schwierig war, denn die Ratsfrau hatte keinen Schlaf gefunden. Kurz darauf stießen Bowbaq, Rey und ein kleiner beleibter Rominer zu der Runde um Grigáns Lager.
»Was ist mit Eurem Gesicht passiert?«, fragte Corenn den Unbekannten. »Rey, habt Ihr ihn etwa geschlagen?«
»Er ist gestürzt«, versicherte der Schauspieler. »Nicht wahr, mein lieber Vi’at?«
»Das stimmt«, stammelte der Mann und rieb sich das Kinn. »Ich bin unglücklich aufgetreten und gestolpert.«
Corenn warf Rey einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser nicht zu bemerken schien, und sah dann zu Bowbaq, der bis über beide Ohren errötete. Sie beschloss, bei Gelegenheit Licht in die Sache zu bringen. Doch vorläufig gab es Dringenderes zu erledigen.
»Von welchem Tier stammen die Bisse?«, fragte der Heiler, nachdem er einen kurzen Blick auf Grigán geworfen hatte.
»Von Ratten«, antwortete Corenn, die keinen Grund sah, ihm die Wahrheit zu verheimlichen. »Von einer ganzen Horde.«
»Wohl von der Sorte, die sich bei den Guori herumtreibt, hm?«
»Passt auf, was Ihr sagt, mein lieber Vi’at«, mahnte Rey.
»Immer mit der Ruhe. Eure Geschichten gehen mich nichts an. Ob nun Guori oder Lorelier, Fremde sind Fremde. Mich interessieren nur die zehn Goldterzen, die Ihr mir versprochen habt. Die will ich sehen.«
In Corenns Gegenwart fühlte sich der Rominer sicher genug, um Forderungen zu stellen. Léti trat auf ihn zu, um ihn in die Schranken zu weisen, doch die Ratsfrau zählte dem Heiler zehn Goldstücke in die Hand.
»Ich verspreche Euch noch einmal so viel, Meister Vi’at, wenn es Euch gelingt, ihn zu retten«, sagte sie noch, bevor sie den Raum verließ.
Der Gedanke war kaum zu ertragen. Was, wenn es ihm nicht gelang?
»Ich kann hier niemanden gebrauchen«, sagte der Mann. »Ihr könnt gehen. Es reicht, wenn mir einer von Euch zur Hand
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