Götter des Meeres
dem Unterschied, daß sie gezielt vorgehen. Sie wollen uns in eine ganz bestimmte Richtung lenken.«
»Nie und nimmer beugen wir uns ihrem Willen«, brauste Gorma auf. »Wir dürften keine Kriegerinnen sein, würden wir uns nicht mit den Schwertern in Händen den Weg freikämpfen.«
»Vergiß es«, rief die Hexe. »Was glaubst du, erwartet uns auf der anderen Seite?«
»Wasser«, keuchte Gerrek und schüttelte sich. »Wir werden ertrinken.«
»Sosona muß uns helfen«, rief Kalisse aus. »Ihre Magie ist stark genug, um uns unbeschadet an die Oberfläche des Meeres zu tragen.«
Aber die Hexe winkte ab.
»Glaube nicht«, sagte sie, »daß ich daran nicht auch gedacht hätte. Doch hier ist etwas, das meine Kräfte lähmt. Noch ist es zu schwach oder zu weit entfernt, um mich wirklich in Bedrängnis zu bringen - trotzdem kann ich für unser aller Sicherheit nicht bürgen.«
Die Erleichterung war Gerrek anzusehen. Nichts war ihm mehr zuwider als der Gedanke, vom Grund der See emportauchen zu müssen. Abscheulich allein schon die Vorstellung, wie das Salzwasser ihm in Rachen und Nüstern eindringen und in seinen Augen brennen würde.
»Greifen wir dort an, wo die Fischmenschen es am allerwenigsten erwarten«, schlug er deshalb vor.
Mythor nickte zustimmend. Immerhin blieb kaum eine andere Wahl. Er merkte, daß Gudun ihn nachdenklich musterte. In ihren Augen lag ein gewisses Interesse verborgen.
Der Tunnel nahm den Amazonen die Entscheidung ab. Indem er sich langsam zusammenzog, zwang er sie zum Weitergehen.
*
Jenes eigenartige Leuchten, das seinen Ursprung in den tieferen Schichten des Gewebes zu haben schien, begleitete sie auch weiterhin. Es war still geworden. Der schwammige Boden dämpfte selbst das Geräusch der Schritte. Nur hin und wieder ertönte ein dumpfes Brausen und Gurgeln, als würde Wasser in luftgefüllte Schächte einströmen. Stets dann verharrte Gerrek und lauschte. Aber es war nicht festzustellen, aus welcher Richtung die Laute kamen.
Mit der Zeit wurde der Tunnel breiter. Inzwischen maß er fast zwei Körperlängen. Die Decke wölbte sich halbrund auf, war zerfurcht wie verwittertes Gestein und von Flechten überwuchert. Aus anfangs kaum eine Handspanne messenden bleichen Fäden wurden schnell verfilzte Schleier, die tief herabhingen. Sie dämpften das von den Wänden ausgehende Licht, schienen es in sich aufzunehmen und zu speichern, denn manchmal blitzte es in den Enden dieser Gewächse auf. Dies war ein Schein, der nicht den Bruchteil eines Augenblicks währte und doch ärger blendete als die Sonne über Vanga. Selbst unter geschlossenen Lidern glaubte Mythor noch den hellen Schimmer wahrzunehmen.
Wie fallende Himmelssteine zogen die Funken ihre Bahn und erloschen, wenn ihr Leuchten am stärksten war.
Kalisse, die voranging, wischte die feinen Gespinst mit ihrer Eisenfaust zur Seite.
»Hört ihr?« flüsterte Gerrek.
Aber niemand wußte, wovon er sprach. Vielleicht waren die Sinne eines Beuteldrachen empfindlicher als die von Amazonen.
Ein feines Raunen lag in der Luft. Es wurde immer dann lauter, wenn Kalisse sich den Weg freischlug.
»Ja.« Gorma blieb stehen. »Jetzt höre ich es auch. Es kommt… von diesen Fäden.« Ihre Rechte ruhte auf dem Schwertknauf, während sie sich zögernd umsah.
»Verdammt.« Mitten in der Bewegung wurde Kalisse zurückgezerrt. Ihre Faust hatte sich in einigen Gewebefetzen verfangen. Der Amazone schwollen die Adern auf Stirn und Schläfen, als sie mit einem heftigen Ruck versuchte, sich zu befreien. Allein der Versuch verstrickte sie weiter in den Fäden.
Ein unbedachter Schritt ließ Kalisse stolpern. Flüchtig sah es aus, als würde sie stürzen, doch dann hatte sie sich wieder gefangen, griff zum Schwert und wollte es aus der Scheide reißen, um mit einem einzigen heftigen Hieb die Fesseln zu durchtrennen, aber plötzlich hing auch ihr rechter Arm im Gespinst fest. Entsetzt schrie die Amazone auf, als sie den Halt unter den Füßen verlor.
Die unzähligen Fäden erwachten zu gespenstischem Leben. Von allen Seiten peitschten sie auf die völlig überraschten Menschen herab. Jede Berührung auf der bloßen Haut erzeugte einen heftig brennenden Schmerz.
Durchscheinend wie flüchtiger Nebel senkte es sich auf Mythor. Etwas Zarteres hatte er nie zuvor gesehen. Selbst die wagenradgroßen Netze von Spinnen wirkten dagegen plump. Doch diese funkelnde Schönheit barg Gefahr. Der Gorganer bekam es zu spüren, als ein Teil davon seinen Nacken berührte.
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