Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Andeutungen gemacht, dass sich am Tage des Mordes / Selbstmordes ein Fremder in ihrem Haus aufgehalten habe. Aber ihre Beschreibung war vage und variierte, zudem sorgten Anflüge von Phantasien für entsprechende Ausschmückungen. Mal handelte es sich bei dem Fremden um einen Piraten mit Augenklappe, dann wieder um einen mexikanischen Gärtner, der ihrem Mann hatte zur Hand gehen sollen. Wie auch immer, das, was sich im Folterkeller abgespielt hatte, war offensichtlich und unzweideutig.
Die Cops kamen zu dem Schluss, dass die .45er Colt Selbiades gehört hatte. Selbiades galt als Waffensammler mit einer Vorliebe für Waffen aus der Zeit Pancho Villas. General Pershing, dessen Männer die mexikanischen Revolutionäre in die Sonora-Wüste zurückgedrängt hatten, hatte eine .45er Colt M1911 getragen und so nahm die Polizei sogar an, dass es sich bei der im Keller gefundenen Waffe um Pershings Pistole handeln könnte. Irgendwie sei es Hector gelungen, so die Schlussfolgerungen der Cops, Selbiades die Pistole abzunehmen, ihn damit zu töten und anschließend sich selbst.
Die unbeantworteten Fragen blieben unbeantwortet. Selbiades’ einflussreiche Freunde waren nicht erpicht darauf, dass der peinliche Umstand ihrer Verbindung zu ihm zur Belastung würde. Ergo überzeugten sie sich und jeden, der überzeugt werden musste, dass es witzlos sei, in der Asche dessen zu wühlen, was man fortan das »unglückliche Ereignis« nannte. Und die Hans-Brinker-Brigade? Niemand hatte je von ihr gehört.
Am Tage ihrer Entlassung traf ich mich mit Carla zum Mittagessen im Hollywood-Café. Sie war um zehn Jahre gealtert. Die Nachricht, was Hector widerfahren war, hatte eine fatale Wirkung auf ihr Gemüt. Da war eine graue Strähne in ihrem Haar, die es vorher nicht gegeben hatte. Carlas Blick war entschlossen und gleichzeitig verletzt. Es kostete mich Überwindung, ihr direkt in die Augen zu schauen. Also sah ich weg und kramte in meiner Jackentasche nach dem Schlüssel für das Schließfach im Union Depot, wo die halbe Million Dollar vermutlich noch immer lag.
»Was willst du jetzt mit dem Geld machen?«, fragte ich.
»Es ist Hectors Geld. Ich werde das machen, was er vorgehabt hat.«
»Denk an die Bundespolizei. Sobald du eine Einzahlung über zehn Riesen tätigst, schrillen bei denen die Alarmglocken.«
»Ich werde dran denken. Die Arbeit, die in Juárez getan werden muss, kann ich bar bezahlen. Ich werde ein Haus in El Paso kaufen. Auf meinen Namen. Vielleicht werde ich dort auch wohnen, ein Jahr oder so, bevor ich daraus einen Zufluchtsort für Einwanderer mache. Man wird mich noch die Schleuserin mit Herz nennen.« Dass sie fähig war, über sich selbst Witze zu machen, überraschte mich ein wenig.
Plötzlich legte sich ein Schleier über ihre Augen und ihr Blick ging in die Ferne. Ich wusste, dass ihre Gedanken jetzt bei Hector waren, bei ihrem Miteinander an diesem Zufluchtsort, wo sie das Leben verzweifelter Menschen hatten retten wollen, auch um ihr eigenes zu retten.
Sie schluckte.
»Hat Hector noch etwas gesagt, bevor … «
»›Sag Carlita, dass ich sie geliebt habe.‹ Das hat er gesagt.«
Sie putzte sich die Nase und schüttelte heftig den Kopf.
Niemals würde sie es zulassen, dass Gefühle sie blind machten gegenüber den vor ihr liegenden Aufgaben. »Ich habe dem FBI mein Dossier über Selbiades gegeben«, sagte sie. »Sie haben reagiert, als ob ich ihnen die Krieg und- Pest-Prophezeihungen von Nostradamus ausgehändigt hätte. Sie sind nicht interessiert an dem, was sie ›periodische Abweichungen‹ nennen. Scheiße, periodische Abweichungen werden die Zukunft dieses Landes bestimmen.«
»Der Schmetterlingseffekt.«
»Nur dass sich diese Schmetterlinge in den Gärten hinter unseren Häusern tummeln und ihr Effekt unmittelbar einsetzt.«
»Das Chaos regiert«, sagte ich.
»Das würde es gern. Und doch schaffen wir kleine Inseln der Vernunft und Güte. Das ist unser verdammter Job. Es ist der einzige verdammte Job, den wir haben.«
Wir ließen es dabei bewenden. Wenn sich eine Unterhaltung zu einem Austausch von Metaphern entwickelt, ist es Zeit, seiner Wege zu gehen. Ich mochte Carla Penrose, doch ihretwegen wäre ich fast über die Klinge gesprungen. Ihr Charisma war gefährlich. Ich hatte mich ihrer Sache angeschlossen, war zu ihrem Infanteristen geworden, ohne mir darüber völlig im Klaren zu sein, dass ich mich eingeschrieben hatte. Ihr Zauber, woher er auch kommen mochte, auf welche Weise auch
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