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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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Feuer, J.P.«, sagte sie. »Du willst nichts. Dein Leben verläuft in der Gegenwartsform. Es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft. Kein Ziel. Keinen Grund für Veränderung.«
    Das hatte gesessen, doch sie lag richtig. Ich war ohne Ehrgeiz und wenig erpicht aufs Hamsterrad. Ich hatte erlebt, was es mit meinem Vater gemacht hatte, der mit vierundvierzig einer verschlissenen Segelklappe wegen gestorben war. Ein erfolgreicher Mann, wenn man so wollte — ein Mann mit drei Autos der neuesten Bauart, einer Hütte im Süden New Mexicos, einem Haus im Hacienda-Stil in El Pasos Upper Valley und den gebeugten Schultern eines Menschen, der zweiundzwanzig Jahre lang gegen die Wucht eines finanziellen Tsunamis angekämpft hatte. Zweiundzwanzig Jahre hindurch Leuten Versicherungen aufschwatzen, die sie sich nicht leisten konnten. Stets spät nach Hause kommen, ein paar Bissen vom Abendessen mit einem Glas Bourbon hinunterspülen, weil man zu müde ist und zu gereizt, um in Ruhe essen und richtig entspannen zu können. Ein Anblick, den ich immer vor Augen habe: ein teilnahmsloses, graues Gesicht, verhärmt und vor der Zeit gealtert. Er starb am Küchentisch eines arbeitslosen Schmelzers namens Gabriel Ruiz, mitten im Versuch, Ruiz und seiner Frau eine Lebensversicherung mit zusätzlicher Unfall-Klausel schmackhaft zu machen, eine Police, die sie sich buchstäblich vom Munde hätten absparen müssen. Er sackte tot zusammen, fiel mit dem Gesicht nach vorn in den aufgeschlagenen Aktenordner, zu einem Zeitpunkt, als Mr. und Mrs. Ruiz begannen, sich für die Sache zu erwärmen.
    Meine Eltern, Jim und Velma Morgan, waren anständige, hart arbeitende West-Texaner, die sich für ihre Kinder ein besseres Leben wünschten. Sie nannten meine ältere Schwester »Aida« — nicht weil sie Opernfreunde waren, sondern weil sie wie viele Abkömmlinge der Arbeiterklasse einen starken Hang zum Exotischen hatten. Ein Mädchen mit dem Namen Aida, so meinten sie, könne dem gewöhnlichen Leben einer Hausfrau und dem damit verbundenen Stumpfsinn entkommen.
    Ich wurde als J.P. in die Gesellschaft eingeführt. Nicht als John Pierpoint, so wie im Falle des Bankers und Eisenbahntycoons, nein, lediglich mit den wurzellosen Initialen J.P. Mein Vater glaubte, allein diese berühmten Initialen besäßen schon Kraft, seien zwei Magnete, die den Wohlstand anzögen. Er war enttäuscht, als ich nach der Armee aufs College ging und Englisch und Geschichte als Hauptfächer belegte anstelle von Betriebswirtschaftslehre. (»Was willst du mit einem Abschluss in Englisch? Lesen? Was will jemand mit Geschichte, wenn er keine Zukunft hat? Für Frauen mag das angehen« — eine Anspielung auf Velma, die dreißig Jahre Englisch an einer Highschool unterrichtet hatte — »aber nicht für Männer, die vorwärtskommen müssen.«)
    Mit neunzehn heiratete Aida einen Feuerwehrmann aus San Antonio, der sie immer dann verprügelte, wenn die Schuldgefühle wegen seiner außerehelichen Affären in alkoholgetränkte Selbstgerechtigkeit umschlugen. Aida hat sechs Kinder und sieht mit vierzig aus wie fünfzig. Inzwischen hat der Feuerwehrmann sie wegen einer neunzehnjährigen Kosmetikerin verlassen. Er hat mit einem Teenager noch mal von vorn angefangen, vermutlich in der Hoffnung, dass der zweite Anlauf mehr Erfolg bringt.
    Nach einem Gastspiel als Cop in El Paso wurde J.P., der Mann ohne Namen, Versicherungsdetektiv. Er war oft mit der Miete im Rückstand genauso wie mit seinen Kreditkartenzahlungen. Aber er war zufrieden mit dem Status quo. Das war das Einzige, worauf er sich verlassen konnte.
    An der Trennung hatte ich richtig lange zu knabbern, aber ich hatte Kat nie übelgenommen, dass sie das Weite gesucht hatte. Jetzt, wo sie mit jemandem verheiratet ist, der eine Zukunft hat, schickt sie mir Geburtstagskarten, Weihnachtsgrüße und ruft hin und wieder an, um sich zu vergewissern, ob ich weiterhin sicher Kurs halte auf Nirgendwo.
    Ich liebe sie noch immer oder vielmehr die Erinnerung an sie. Aber Erinnerungen sind unzuverlässig — es sind Zerrspiegel, in die wir blicken, um zu rechtfertigen, was aus uns geworden ist. Wie dem auch sei, keine Beziehung zu einer anderen Frau konnte bisher mit den Erinnerungen an Kat mithalten.
    Ich hatte gerade eine zweimonatige Affäre mit einer Mary-Kay-Vertreterin namens Fayth LoBello beendet. Sie war mit Phil verheiratet, einem passiv-aggressiv gestörten Bauingenieur, der zwar einen Verdacht gehegt, sich aber nie beklagt hatte. Dieses

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