Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
auch, wem sie gehörte: Pilar Mellado, einer Mitarbeiterin der Adult Protective Services, einer staatlichen Organisation mit Gestapo-Vollmachten.
»Was gibt’s, Pilar?«, fragte ich.
»Ich glaube, das wissen Sie.«
»Sie haben nach Velma gesehen«, sagte ich.
»Habe ich, J.P. Und die Wahrheit ist: Sie können es nicht länger vor sich her schieben. Sie müssen sie in ein Heim geben. Ich empfehle das El Descanso. Die sind kompetent und günstig.«
»Eine Bedienstete des Staates sollte keine Pflegeheime empfehlen, Pilar. Sie könnten in den Verdacht der Korrumpierbarkeit geraten. Und der Anschein von Fehlverhalten kann genauso rufschädigend sein wie das Fehlverhalten selbst.«
»Sie gehören zu den Zeitgenossen, die sich große Mühe geben, ihre Ignoranz unter Beweis zu stellen. Das steht Ihnen nicht.«
»Sie wird in kein Heim gehen.«
»Sie spricht wieder mit der Jungfrau.«
»Welche Jungfrau soll das sein?«
»Die, die sich immer wieder mal blicken lässt. In der Speisekammer. In der Dusche. Wo auch immer. Halt, warten Sie, es gibt eine neue, im Garten. Das Antlitz Unserer Lieben Frau, genauer gesagt, seine Konturen, zeigte sich in der Anordnung von Elfenkreisen auf dem Rasen. Ihrer Mutter ist es gelungen, dass sich einige dafür besonders empfängliche Nachbarn in etwas hineinsteigern. Sie wurden dabei beobachtet, wie sie laut betend vor den Giftpilzen knieten. Das alte Mädchen verliert den Verstand, J.P. Aber das ist Ihnen ja nicht neu, oder?«
»Hört sich eher so an, als würden die Nachbarn ihn verlieren.«
»Die sind uninteressant. Die gehören altersmäßig nicht zu unserer Klientel.«
El Paso ist bekannt für seine Marienerscheinungen. Die Jungfrau zeigt sich auf Tortillas und Holzbalken, in der Patina von abgenutztem Leder und in Wasserflecken an Wänden. Einmal erschien sie sogar auf dem Rücken eines Bankkassierers, mit der Unterstützung seiner Muttermale: Man verbinde die einzelnen Male und siehe da, die heilige Mutter Gottes. Wenn die Erscheinung lang genug anhält, strömen die Gläubigen aus der gesamten Stadt und der Region herbei, um sie um Vergebung, Heilung, Erlösung oder Geld zu bitten. Manche Besitzer eines Objektes, dem das Mysterium anhaftet, kassieren an der Tür Eintrittsgeld von den Pilgern. Ein gegrilltes Käsesandwich, auf dem unsere Mutter Gottes erschien, konnte bei eBay für achtundzwanzigtausend Dollar versteigert werden. Die Jungfrau ist fürwahr ein erstklassiger Vermögenswert.
»Ich spreche morgen mit Velma«, sagte ich.
»Morgen ist heute schon gestern. Schieben Sie’s nicht auf die lange Bank, J.P. Es ist nur zu Velmas Bestem. Es ist auch zu Ihrem Besten. Wenn Sie nicht in die Gänge kommen, machen wir es. Sie sind dann aus dem Rennen.«
Die übliche Drohung. »Aus dem Rennen sein« bedeutete, man würde Velma aus ihrem Haus im Upper Valley holen, entgegen meinem Willen, entgegen Velmas. Man würde Haus und Grundstück mit einem Vorhängeschloss versehen und es möglicherweise sogar versteigern, um die Kosten für das Pflegeheim abzudecken. Velmas gesamte Ersparnisse würden von einem staatlichen Treuhänder verwaltet. Der Treuhänder würde dann Betreuung und Vormundschaft übernehmen. Ich wäre außen vor, »aus dem Rennen«, ohne jegliche Mitsprache oder Einfluss.
»Ich kümmer mich darum, Pilar«, sagte ich, bemüht, den Ärger in meiner Stimme zu unterdrücken. Pilar Mellado machte nur ihren Job.
Das hatte ich auch von mir behauptet, nachdem ich einen hirnrissigen Versicherungsbetrug aufgedeckt hatte, ausgeheckt von einem Trottel, der meinte, seine finanziellen Probleme auf die leichte Tour lösen zu können. Ich mache nur meinen Job, Sir.
Oder gegenüber dem Schwachkopf, der seinen zwölf Jahre alten Grand Prix »stahl«, ihn anschließend ein paar Meter weiter hinter dem Haus seines Cousins abstellte, mit einer Plane bedeckte und darauf hoffte, neunzehnhundert Dollar von der Diebstahlversicherung abgreifen zu können. Einen Tag, nachdem er den Diebstahl gemeldet hatte, machte ich das Auto ausfindig. Ist mein Job, Sir.
Dann der Kerl, der selbst für Ängste zu blöd war und sich in der Innenstadt einem Bus entgegenstellte. Als der Fahrer ausstieg, um sich des vermeintlichen Opfers anzunehmen, versteckte ein im Bus sitzender Komplize eine halbe Flasche Cuervo und einen angerauchten Joint unter dem Fahrersitz. Man hatte sich ausgemalt, Fahrer und Stadtverwaltung auf eine halbe Million zu verklagen, Minimum. Die Stadtverwaltung war seinerzeit bei
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