Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
stille Vor-sich-hin-Leiden war seine Strategie in Sachen Vergeltung.
Fayth holte mich immer in ihrem pinkfarbenen El Dorado ab, um für einen kurzweiligen Nachmittag in ihre umzäunte Wohnanlage im Mesilla Valley zu fahren. Vorsichtig waren wir nie. Eines Tages kam Phil früher von einer Baustelle nach Hause, die, nachdem man die halbe Belegschaft festgenommen und anschließend zurück nach Juárez geschickt hatte, geschlossen worden war. Phil erwischte uns beim vergnüglichen Treiben im Swimmingpool. Nachdem wir uns angezogen hatten, fanden wir ihn in der Küche. Er hatte den Lauf einer .44er im Mund. Sein vorwurfsvoller Blick, der meinem über die schwere Waffe hinweg begegnete, spiegelte Wehmut und Selbsthass wider. »Hey, Phil«, sagte ich, bemüht, unbefangen und freundlich zu erscheinen. Er blinzelte mir zu. Ich zuckte mit den Schultern. Wir verstanden einander.
Fayth fuhr mich nach Hause. Den an blauem Stahl nuckelnden Phil ließen wir in der Küche zurück. Er hatte den Abzug nicht gedrückt, dennoch fühlte ich mich mies. Sie versicherte mir, dass dramatische Drohgebärden typisch seien für ihren Mann, er sie aber nie in die Tat umsetzen werde. Doch ich glaubte Phil, nicht Fayth. Den Abzug zu betätigen, dazu bedurfte es lediglich eines Impulses. Nach genügend Anläufen wäre Phil willens und in der Lage, sein Hirn in der Küche zu verteilen.
Auf dem Weg zu meinem Apartment lieferte Fayth noch eine Packung Anti-Aging-Creme bei einer Kundin aus dem Upper Valley ab. Wir wechselten kein Wort miteinander. Es gab nichts zu sagen. Wir hatten unseren Spaß gehabt, doch jetzt war der Spaß vorbei. Wir sammelten unsere Murmeln ein und würden nach anderen Spielkameraden Ausschau halten. Ich hatte gegen die wichtigste Regel für männliche Singles verstoßen: Finger weg von verheirateten Frauen — egal, wie einsam oder scharf man selber ist, egal, wie nötig sie es zu haben und wie unkompliziert sie zu sein scheinen.
Mein Apartment lag in Sunset Heights, dem historischen Viertel von El Paso, und von meinen nach Süden gehenden Fenstern aus hatte man einen Blick über die staubige Prärie westlich von Juárez.
Hunderte von Kilometern Wüste, und zwar in allen Himmelsrichtungen, trennen El Paso vom DurchschnittsAmerika. Diese Trennung ist nicht nur eine Frage der Entfernung. Seit ihren Anfängen am Ende des sechzehnten Jahrhunderts lebt die Stadt ihren eigenen Takt. Sie ist ein Stück Amerika, das an seinem weniger scharfen Tempo festhält. Man stelle sich die Stadt als amerikanische Zivilisation im Rückwärtsgang vor. Dabei macht sie einen durchaus modernen Eindruck — Autobahnen, die üblichen Bauten aus Glas und Stahl, die üblichen Einkaufszentren, die üblichen Aktentaschenträger in Tausenddollaranzügen und mit dem gewissen Fluidum, der Mischung aus Vitalität und Zielstrebigkeit —, doch tief im Innern ihres poetischen Herzens hält sie das geheime Verlangen wach, diesen Motor der Geschäftigkeit zu drosseln. Es ist eine arme Stadt mit einer Arbeitslosenquote von konstant zehn Prozent, dem Doppelten des landesweiten Durchschnitts, doch Menschen ohne Ambitionen fühlen sich hier wohl. Mein Vater schwamm gegen den Strom und das brachte ihn um.
Kat stammt aus Chicago und konnte den Zeitgeist El Pasos nicht verstehen. Es geht nicht darum, ihn zu verstehen, es geht darum, ihn zu erfahren. Ich konnte es ihr nur so erklären: »Es ist meine Stadt, so sind wir nun mal. Ich kann nicht anders sein.«
»Diese Stadt ist verrückt«, sagte Kat einmal. »An der Oberfläche ist alles heiter und gelassen, doch der Schein trügt. Es ist nichts weiter als ein geordnetes Chaos.«
Das musste ich erst einmal sacken lassen.
»Eine Feststellung, die auf den größten Teil der Welt zutrifft, oder?«, erwiderte ich schließlich.
Woher du kommst und was dir dort widerfahren ist, macht dich aus. Die Stadt, die Wüste, der Fluss und die gelbbraunen Franklin Mountains, die die Stadt in zwei Hälften teilen — das alles prägt dich von der Wiege bis zum Grab. Du führst dein Leben nach den vom Wind herübergetragenen Klängen der Guitarróns und Vihuelas der Mariachi-Bands. Wenn ich behauptete, die Stadt zu lieben, entspräche das nicht den Tatsachen. Ich bin die Stadt: geordnetes Chaos. Das bin ich.
Nicht dass hier keine Menschen lebten, die auf legale oder andere Weise zu Geld kommen wollen. Es gibt hier jede Menge Kriminalität. Abgesehen von den gelegentlichen Schusswechseln zwischen Mitgliedern einzelner Gangs ist das
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