Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
Vom Netzwerk:
man verlässt jemanden?«
    »Carla? Du willst die einzige Frau auf diesem Planeten verlassen, die es mit dir aushält?«
    »Das genau waren meine Worte, oder?«
    »Das wäre ein Riesenfehler, alter Junge.«
    Carla, Dozentin für Lateinamerikanische Studien beim hiesigen Ableger der Universität von Texas, war schlichtweg beeindruckend — klug, voller Idealismus, eine leidenschaftliche Aktivistin, die sich ehrenamtlich für die Belange mexikanischer Illegaler einsetzte, die, nachdem sie den Rio Grande überquert hatten, geschnappt worden waren. Sie stand kurz vor dem Abschluss ihrer Promotion und hatte Aussicht auf eine Festanstellung an ihrem Institut. Dennoch war sie ein Mensch mit Bodenhaftung. Sie hatte Spaß an den Vergnügen der einfachen Leute und sprach deren Sprache. Carla war eine Aristokratin mit Schwielen an den Händen.
    Gemessen am gängigen Schönheitsideal, war sie nicht schön, nicht einmal hübsch. Vielleicht lag es an ihrem Gesichtsausdruck: immer ernst, immer konzentriert, immer im Dienst der Sache. Ihr Blick war nicht auffordernd, sondern herausfordernd. Sie konnte moralische Postulate formulieren, ohne ein Wort zu sagen.
    Sie blieb im Gedächtnis haften. Und sie war, seltsamerweise, begehrenswert. Eigentlich würde man sie kein zweites Mal anschauen. Tat man es dennoch, ertappte man sich am nächsten Tag dabei, wie man an sie dachte, wenn man sich und seiner aufgestauten Libido Erleichterung verschaffte. Ich denke, dass sie diese Wirkung auf eine Menge Männer hatte, die meinten, ihre Leidenschaft in politischen Dingen sei etwas, was sich mir nichts, dir nichts aufs Bett übertragen lasse. Sie hatte einen Heiligenschein verdient dafür, dass sie Luther so lange ertragen hatte. Wie sie überhaupt mit ihm zusammengekommen war, zählt zu den wundersamen Geheimnissen des Lebens.
    »Sie vögelt mit irgendeinem Schwein, dem unsere Beziehung vollkommen egal ist«, sagte Luther. Sein feistes, faltenloses Gesicht verdüsterte sich angesichts der Ungerechtigkeiten, die zu seinem Los geworden waren. Er sah aus wie ein bockiges Kind.
    Vor sechzehn Jahren hatte man ihn aus der Armee geworfen, weil er einen Lieutenant Colonel beleidigt hatte, mitten in der saudischen Wüste. »Sieg Heil, mein Herr!«, hatte er zu dem Offizier gesagt und den Arm zu einem forschen Hitler-Gruß gehoben. Dabei hatte er zu dicht vor dem Offizier gestanden und ihm mit seinem zackigen »Sieg Heil« die Mütze vom Kopf geholt. Der Lieutenant Colonel hatte ihm befohlen, sich zwecks Milzbrand-Impfung im Sanizelt zu melden, was Luther verweigerte. Dieser Kokolores brachte ihm vor dem Militärgericht eine Verurteilung nach Artikel 15 ein plus Aufenthalt im Militärgefängnis. Als er die notwendige Impfung weiterhin verweigerte, bekam Luther noch mehr aufgebrummt und wurde anschließend wegen schlechter Führung entlassen, was man jedoch zu einem »Section 8« herabstufte. »Section 8« war gerechtfertigt: Luthers Psyche war mehr als nur ein wenig instabil. Sie schickten ihn als behandlungsbedürftigen Zombie zurück in die Heimat. Nachdem er, die »Section-8«-Papiere in der Hand, das Walter-Reed-Militärhospital verlassen durfte, schloss er sich jeder Antikriegsgruppe an, die er finden konnte. Seine Art, es der Armee heimzuzahlen.
    Er lebte auf dem Anwesen seines verstorbenen Vaters, in einem alten Haus mit zwölf Zimmern und Wasserspeiern in den Säulen des Portikus. Durch Vernachlässigung war das Haus dem Verfall anheimgegeben und der Garten der Natur überlassen worden. Für die Kinder aus der Nachbarschaft war es ein Spukhaus, in dem ein Geist wohnte. So ganz falsch lagen sie damit nicht. Tagtäglich rannten sie auf ihrem Schulweg an Luthers Haus vorbei, voller Grusel vor den eingebildeten Gespenstern.
    Bisweilen unternahm Luther den Versuch, das alte Anwesen auf Vordermann zu bringen. In Reithosen, mit Tropenhelm und Gummistiefeln, dazu eine Reitpeitsche, die er wichtigtuerisch auf seiner Handfläche tanzen ließ, gab Luther den padrón gegenüber armen Schluckern aus Mexiko, die in der Hoffnung auf ein wenig Lohn den Fluss überquert hatten — eine Rolle, in der sich Luther sehr gefiel, zu sehr. Er bewaffnete die Mexikaner mit Rasenmähern, Hacken und Rechen und jagte sie in das Dickicht aus Besenkorn und breitblättrigem Unkraut vor seinem Haus. Bei Sonnenuntergang drückte er jedem zehn Dollar in die Hand. War Carla da, sorgte sie dafür, dass die Männer zu essen bekamen und Luther ihnen das Doppelte zahlte.
    »Carla ist treu

Weitere Kostenlose Bücher