Goettersterben
reagieren, schob Andrej mit sanfter Gewalt seine Hand beiseite und besah sich Abu Duns verletzte Schulter. Die Wunde war tief und sah übel aus. Die Klinge des Angreifers hatte den Knochen verletzt, und wäre Abu Dun nicht von Natur aus ein solcher Bär von einem Mann gewesen, bei dem irgendwie alles doppelt so groß war, hätte der Hieb ihm den Arm vermutlich glatt abgetrennt.
»Das ist nichts«, presste Abu Dun zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Nur eine Schramme.«
Andrej zuckte mit den Achseln, nickte ernst und versetzte dem Nubier dann einen freundschaftlichen Klaps gegen die Schulter, dass ihm die Augen ein Stück weit aus den Höhlen quollen. Auf gewisse Weise hatte Abu Dun sogar recht. Die Wunde war übel, würde aber binnen weniger Stunden heilen … wenn ihnen noch so viel Zeit blieb.
»Vielen Dank«, sagte er.
»Dank?« Abu Dun beäugte seine Hand misstrauisch und rutschte vorsichtshalber ein kleines Stück zur Seite. »Wofür?«
»Der Schlag galt mir.«
»Und ich habe ihn aufgefangen, mit meinem eigenen zerbrechlichen Körper«, sagte Abu Dun missmutig. »Und was ist daran so außergewöhnlich? Wenn ich mich richtig erinnere, tue ich das doch ständig.«
»Dann solltest du dich ja eigentlich schon daran gewöhnt haben«, gab Andrej gelassen zurück. »Trotzdem, danke.«
Abu Dun funkelte ihn an, verkniff sich aber jegliche Antwort und verdrehte sich stattdessen fast den Hals, um seine verletzte Schulter zu begutachten. Sehr viel schien er nicht zu sehen, denn er versuchte unverzüglich, den Arm zu heben und die Hand zur Faust zu ballen, ließ es aber dann mit einem neuerlichen, schmerzhaften Grunzen gut sein.
Andrej seinerseits versuchte erst gar nicht, ihn zur Vernunft zu bringen, sondern schloss die Hand noch einmal fester um Gunjir und wandte sich wieder zu dem enthaupteten Gott um. Ra war tot, daran gab es keinen Zweifel. Sein enthaupteter Rumpf blutete noch immer, und Andrej spürte auch auf einer tieferen Ebene keine Spur von Leben mehr in ihm, so angestrengt er auch lauschte.
Aber das musste nichts bedeuten. Genau so hatte er auch über Lokis vermeintlichem Leichnam gebeugt dagestanden, nachdem er ihm Gunjir ins Herz gestoßen hatte, und er hatte so wenig Leben in ihm gespürt wie jetzt in Ra. Selbst Abu Dun und er waren durch einen Stich ins Herz nicht unbedingt zu töten – auch wenn dies einer von wenigen halbwegs sicheren Wegen war, sie wirklich umzubringen –, und diese Geschöpfe waren unendlich viel mächtiger als sie.
Unsinn!, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Es gab einen Unterschied. Loki hatte den Stich ins Herz überlebt, aber Ras Kopf lag zwei Meter neben seinen Schultern. Außerdem: Wenn sie mächtig genug waren, selbst das zu überleben, dann hatte es sowieso keinen Sinn mehr, sich gegen Loki und die Seinen zu wehren.
Er schüttelte den Gedanken ab und wandte sich wieder zu Abu Dun um. Der Nubier hatte inzwischen seinen Turban abgenommen und versuchte das schwarze Tuch mit nur einer Hand und den Zähnen zu einer Schlinge zu binden, in die er seinen verletzten Arm legen konnte. Er stellte sich nicht besonders geschickt dabei an. Andrej hätte ihm gerne noch eine Weile zugesehen, rief sich dann aber selbst zur Ordnung – sie hatten keine Zeit für solche Albernheiten – und half ihm. Schließlich gab er ihm noch den Offizierssäbel zurück, den Abu Dun wortlos unter den Gürtel schob.
»Das war einer«, sagte der Nubier finster. »Bleiben noch drei … und unser momentan einarmiger Freund. Schade, dass ihm die Kugel kein edleres Körperteil abgerissen hat. Ob das eigentlich nachwächst?« Andrej lächelte zwar pflichtschuldig, aber er machte sich nichts vor. Er hatte Ra durch pures Glück besiegt und einen hinterhältigen Trick, der ihm ganz bestimmt nicht noch einmal gelingen würde. Gegen drei dieser Unsterblichen – und Loki, der auch einarmig noch immer ein tödlicher Gegner war – hatten sie nicht den Hauch einer Chance.
»Immerhin haben wir etwas, wovor sie Angst zu haben scheinen«, sagte Abu Dun, der seinen finsteren Blick wohl richtig gedeutet hatte. Er deutete auf Gunjir, und Andrej steckte die Waffe ein. Das Götterschwert hätte ihm nichts genutzt, hätten Ra und der andere ihn wirklich töten wollen. Sie hatten versucht, ihn lebendig zu überwältigen, und dieser Versuch hatte einen von ihnen das Leben gekostet. Aber auch diesen Fehler würden sie nicht noch einmal begehen.
»Wir müssen von diesem Schiff runter«,
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