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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sagte Abu Dun. »Bevor deine Freunde von der besten Kriegsmarine der Welt zurückkommen und uns zu Klump schießen.« »Hast du vor, nach Spanien zurückzuschwimmen?«, fragte Andrej.
»Wenn ich dafür deinem Freund Loki entkomme, lerne ich auch, übers Wasser zu wandeln wie euer Christengott«, sagte Abu Dun.
»Das konnte er nicht«, behauptete Andrej. »Er wusste, wo die Steine liegen.« Aber Abu Dun hatte recht. Ihnen blieben bestenfalls noch Minuten, bis die King George und ihr Schwesterschiff zurück waren und die EL CID unter Feuer nahmen. Ihre mächtigen Panzerplatten und ihre solide Konstruktion mochten sie eine Weile beschützen. Aber wenn es Loki nicht gelang, seine Soldaten noch einmal glauben zu lassen, dass sie es in Wahrheit mit zwei spanischen Kriegsschiffen zu tun hatten, dann würde die EL CID untergehen: So oder so – Abu Dun hatte recht.
»Gut«, sagte er. »Holen wir Esmeralda. Darüber, wo die Steine liegen, zerbrechen wir uns den Kopf, wenn es so weit ist.«
Abu Dun rang sich eine Bewegung ab, die man mit einigem guten Willen als Nicken auslegen konnte, machte einen Schritt und blieb wieder stehen, um noch einmal auf den enthaupteten Gott hinabzusehen. Etwas geschah in seinem Gesicht, von dem Andrej nicht sicher war, ob es ihm gefiel.
»Was?«, fragte er.
»Weißt du eigentlich, wen du da gerade getötet hast?«, fragte Abu Dun. Andrej nickte, und Abu Dun schüttelte heftig den Kopf, um seine eigene Frage zu beantworten. »Das war nicht nur einer von Lokis Speichelleckern«, beharrte er. »Verdammt, Hexenmeister! Das war Ra, der oberste Gott meiner Vorfahren! Er ist älter als die Welt!« »Nicht ganz«, erwiderte Andrej müde. »Und wenn du mir auf diese Weise unauffällig klarmachen wolltest, dass der Posten jetzt frei ist …« Er schüttelte den Kopf. »Kein Interesse.«
Jetzt war es Abu Dun, der ernst blieb … und dann etwas tat, was Andrej im allerersten Moment mit Verständnislosigkeit erfüllte, dann mit purem Entsetzen: Mühsam und noch immer vor Schmerz gebeugt schlurfte er zwei Schritte zur Seite, bückte sich und grub die Finger in Ras Haar, um seinen abgeschlagenen Kopf aufzuheben. Andrej keuchte. »Abu Dun?«
Der Nubier ignorierte ihn, drehte sich ächzend um und versuchte mit der verletzten Hand die Tür aufzufummeln, ohne dass es ihm auf Anhieb gelang. Andrej kam nicht einmal auf den Gedanken, ihm zu helfen, sondern fragte sich, was der Nubier eigentlich vorhatte. Ras Kopf pendelte wild in Abu Duns Hand hin und her – allzu groß schien der Respekt nicht zu sein, den der Nubier vor dem obersten Gott seiner Vorfahren empfand –, und seine sonderbar zeitlosen, androgynen Züge schienen sich zu einer Mine sachten Bedauerns zu verziehen. Kein Zorn oder Schmerz, sondern allenfalls eine vage Trauer, dass es nun doch vorbei war und sich sein Leben, auch wenn es Jahrtausende gezählt haben mochte, am Ende doch als zu kurz herausgestellt hatte.
Aber war es wirklich vorbei?
Andrej wusste es nicht, aber er hasste sich beinahe selbst dafür, sich diese Frage überhaupt gestellt zu haben, denn seine Fantasie nahm den Gedanken unverzüglich und dankbar auf und plagte ihn mit einer blitzartigen und ebenso grotesken wie Grauen erregenden Vision: Ras erschlafftes Gesicht schien ihm spöttisch zuzublinzeln, dann sah er, wie sein kopfloser Körper aufstand und mit blind umhertastenden Armen auf Abu Dun zutorkelte, ihm den Kopf wegnahm und ihn sich auf die Schultern setzte, wie ein mittelalterlicher Ritter seinen Helm.
Er blinzelte, und das absurde Bild war verschwunden. Aber etwas wie ein schlechter Geschmack blieb zurück, und die bange Frage, ob es wirklich nur ein besonders übler Streich seiner Fantasie gewesen war oder vielleicht eine Vision, die ihm jemand geschickt hatte.
Das – und die Frage, was zum Teufel Abu Dun eigentlich mit Ras Kopf vorhatte.
Er setzte dazu an, sie laut zu stellen, doch da gab Abu Dun seinen Kampf mit dem widerspenstigen Riegel auch schon auf und trat die Tür kurzerhand ein. Flackernder Feuerschein und ein Chor aus Schreien und Stöhnen drangen aus dem dahinterliegenden Kanonendeck heraus, und Abu Dun schob sich schnaubend hindurch und wankte der nächstgelegenen Geschützklappe entgegen. Die dazugehörige Kanone war bereits wieder geladen, und in der Hand des Kanoniers daneben knisterte eine Fackel. Er machte allerdings keine Anstalten, sie zu benutzen, sondern starrte Abu Dun (und vor allem den abgeschlagenen Kopf in seiner Hand) aus hervorquellenden Augen an

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