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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und schien vor Entsetzen einfach gelähmt. Abu Dun schob ihn sanft zur Seite, holte aus und warf den Kopf in hohem Bogen aus der Klappe. »So«, grollte er. »Das dürfte ihn vor ein paar Probleme stellen, selbst wenn er es irgendwie überlebt.«
Andrej sagte nichts. Anscheinend war er nicht der Einzige, der die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, Loki und die anderen könnten tatsächlich das sein, als was sie sich ausgaben: Götter, und damit unsterblich. »Gut«, sagte er. »Und jetzt lass uns …«
Ein Schatten tauchte hinter der Luke auf, groß und verzerrt und eine Schleppe aus Rauch und noch immer lodernden Flammen hinter sich herziehend. Es war die KingGeorge . Sie befand sich auf der falschen Seite, und sie wandte der EL CID auch die falsche Seite zu: ihre unversehrte Flanke, in der sechsunddreißig offen stehende Stückpforten gähnten, aus denen sich die Läufe ebenso vieler geladener Kanonen reckten. Seine Schätzung war falsch gewesen. Die KingGeorge und ihr Schwesterschiff hatten ihre Positionen viel schneller getauscht, als er es für möglich gehalten hätte, und holten bereits wieder auf. Ihnen blieben nicht einmal mehr fünf Minuten, bis sich die beiden Schlachtschiffe in Schussposition manövriert hatten und der Weltuntergang über sie hereinbrechen würde.
Das Spinnweb-Gefühl war wieder da, ungleich stärker als zuvor, aber auch jetzt wieder so schnell vorüber, dass er sich weder seiner wahren Natur bewusst werden, noch es beeinflussen konnte. Auch Abu Dun blinzelte ein paarmal und wirkte schon wieder irritiert, dann erschrocken, und Andrej konnte dieses Gefühl nur zu gut verstehen. Dem Nubier und ihm machten die tastenden Finger in ihren Gedanken vielleicht nichts aus, aber die Männer an den Geschützen ringsum waren dem mentalen Angriff Lokis und der anderen Götter hilflos ausgeliefert. Er hatte sich abermals geirrt: Loki war nicht annähernd so angeschlagen, wie er gehofft hatte. Der große Lügner warf sein Netz bereits wieder aus, und er konnte sehen, wie die Gesichter der Männer ringsum leer wurden. Noch einmal sah er zur KingGeorge hin und gab dem Tasten und Flüstern tief in seinen Gedanken jetzt ganz bewusst nach. Etwas … geschah mit den Umrissen des britischen Schlachtschiffes. Sie verschwammen vor seinen Augen, ordneten sich neu und flossen wieder auseinander, und Andrej rechnete fest damit, dass er – und jeder einzelne Mann an Bord der EL CID – am Ende dieses unheimlichen Werdens und Vergehens wieder ein spanisches Schlachtschiff sehen würden.
Stattdessen wurde aus der KingGeorge wieder die King George , nur dass sie … anders aussah. Andrej hätte den Unterschied nicht in Worte fassen können – vielleicht, weil er nicht wirklich sichtbar war, dafür aber umso deutlicher zu spüren. Das Schiff wirkte größer, feindseliger und stärker. Die schrecklichen Schäden, die die erste Salve der EL CID verursacht hatten, wirkten weniger schlimm, und die Anzahl ihrer Kanonen schien zugenommen zu haben – was natürlich Unsinn war, aber sie wirkten auf eine subtile Art … gefährlicher.
Wie das gesamte Schiff, begriff er. Das war der Unterschied, und er hatte ihn im allerersten Moment einzig deshalb nicht bemerkt, weil es überhaupt keinen Sinn machte: Das Schiff, wie er es jetzt sah – wiees jedereinzelneMannhiersah! –, war eine andere Version der KingGeorge; eine Version des Schlachtschiffes, die einzig dafür gedacht war, Angst zu verbreiten und einzuschüchtern.
»Aber warum sollte Loki …?«, begann er.
»Warum stellst du mir diese Frage nicht selbst, Andrej?«
Andrej musste an sich halten, um nicht mit irgendeiner kindischen Bemerkung der Art zu reagieren, dass Loki es sich allmählich zu einer wirklich schlechten Angewohnheit machte, ständig wie aus dem Nichts aufzutauchen und ungefragt in seinen Gedanken herumzuschnüffeln. Das wäre der Situation weder angemessen gewesen, noch hätte es dem entsprochen, was er wirklich empfand: pure Hysterie.
Nicht, dass er keinen Grund gehabt hätte, hysterisch zu reagieren.
Loki stand keine fünf Schritte hinter ihm. Sein Gesicht war von kaltem Schweiß bedeckt und wirkte eingefallen und grau, und die spöttische Wahl seiner Worte wurde von dem Ausdruck dumpfen Schmerzes in seinen Augen Lügen gestraft. Seine Gestalt wirkte nicht ganz real; wie ein Spiegelbild, durch das eine andere, unheimlichere Erscheinung hindurchzuschimmern versuchte. Sein Armstumpf war ebenso notdürftig wie schlampig verbunden und schien immer noch zu

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