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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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passieren?«
    Lothar de Haye, der mitgeholfen hatte, Jan Martin zu bergen, zuckte mit den Schultern und erklärte: »Der Tallymann sagt, Kakao neige unerklärlicherweise manchmal zur Selbstentzündung. Ein schwieriges Handelsgut, wenn Sie mich fragen. Kaffee ist leichter zu transportieren.«
    »Ich hätte die Finger davon lassen sollen. Ein Drittel der Ladung ist verloren.«
    »Ein Risiko, sicher. Aber man kann gute Gewinne damit machen. Kakao ist ein rares Gut in unseren Breiten. Und wird doch sehr geschätzt«, meinte der Arzt, während er eine kühlende Salbe auf Jan Martins Wange auftrug.
    »Ich trinke lieber Tee«, murrte Jantzen. »Aber meine Frau schätzt ihre heiße Schokolade am Morgen. In den Cafés wird sie auch immer beliebter, habe ich mir sagen lassen. Darum dachte ich ja... Na, vergessen wir es. Wie sieht es aus mit meinem Jungen, Albrecht?«
    Jan Martin hatte die schmerzhafte Behandlung fast ohne Jammern über sich ergehen lassen und saß nun mit einem dicken Salbenverband im Gesicht und schuldbewusster Miene auf den Behandlungsstuhl.
    »Er wird’s überleben. Eine Narbe wird wohl bleiben. Aber keine Angst, mein Junge, wenn die Zeit kommt, dass sich die Mädchen nach dir umdrehen, dann wird sie allmählich verblasst sein.«
    Ob diese Zeit jemals kommen würde, bezweifelte Jan Martin im Augenblick jedoch. Trotz Schreck, Schmerzen und Beschämung drängte sich ihm die Frage über die Lippen, die er ihn die ganze Zeit bewegte.
    »Herr Doktor Roth, wieso kann sich trockener Kakao von selbst entzünden?«
    Doch obwohl der Arzt selbst auch ein leidenschaftlicher Botaniker war, hatte er darauf keine Antwort.

Die Kunst des Überlebens
    Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.
Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand.
    Die Brück’ am Tay, Fontane
     
     
    Als Alexander das erste Mal die Fabrik betrat, blieb ihm buchstäblich der Mund offen stehen. Erst der derbe Stoß des Vorarbeiters brachte ihn wieder zur Besinnung. Diesem Knuff und der barschen Anweisung, sich zu den anderen Jungen zu gesellen, folgte er sofort. Dennoch blieb er beeindruckt. Unter dem Dach, über die ganze Länge der Halle hinweg, verliefen zwei Eisenstangen, an denen in unregelmäßigen Abständen Scheiben angebracht waren, die wiederum mit breiten Lederriemen mit den Antriebsrädern der Webstühle verbunden waren. Noch drehte sich die Welle nicht, ruhten die Schützen, standen die Schäfte still, doch irgendwo am Ende der Fabrik hörte man bereits das rhythmische Pochen der Dampfmaschine, die den Holzboden vibrieren ließ.
    Alexander war mit Wally von Colchester aus nach London ins East End gezogen, wo dessen Angehörige lebten. Nach der ersten Faszination, die die übervölkerte, laute, quirlige Stadt mit ihren hohen Häusern, belebten Gassen und verrauchten Kneipen auf ihn ausübte, war recht schnell Ernüchterung eingetreten. Die Familie seines Freundes bewohnte zwei stickige, schmutzige Räume und eine verqualmte Küche, die zum Hinterhof hinausgingen. Diese Enge teilten sich Wallys Eltern, seine achtzehnjährige Schwester Jenny und drei jüngere Kinder, eines davon noch ein Säugling. Der heimgekehrte Sohn wurde nicht gerade mit Jubel begrüßt, noch weniger sein Begleiter. Zwei Esser mehr konnte man sich nicht leisten. Dennoch erlaubte der Skipper, wie Wallys Vater gerufen wurde, beiden Jungen, sich ein Deckenlager neben dem Küchenherd zu richten.
    »Wennste bleiben willst, musste arbeiten«, erklärte Skipper, ein Veteran, der seinen rechten Arm bei Trafalgar gelassen hatte, Alexander ohne jede Freundlichkeit. »Hab gehört, in der Weberei suchen sie noch Hilfskräfte. Du gehst auch!«, befahl er seinem Sohn.
    Am folgenden Tag sprachen sie in der Fabrik vor und wurden ohne große Umstände eingestellt.
    Um sechs Uhr morgens begann die Arbeit. Die Einweisung war denkbar kurz und kaum hilfreich. Alexander wurde angewiesen, die leeren Garnspulen einzusammeln und den Frauen, die an den Webstühlen arbeiteten, die neuen zuzureichen. Es erschien ihm eine leichte Tätigkeit.
    Bis zu dem Augenblick, als die Maschinen zum Leben erwachten.
    Das Stampfen der Dampfmaschine wurde schneller, und mit einem Krachen setzten sich die beiden Transmissionswellen unter der Decke in Bewegung. Die Antriebsriemen surrten. Ein Webstuhl nach dem anderen wurde angekuppelt, und ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Halle. Rasselnd, klappernd, kreischend schossen die Weberschiffchen hin und her, knallten die Rahmen auf und ab, ratterten die

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