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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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kaum bis an die Schubladen, aber die Kraft, einen der Stühle näher an die Anrichte zu schieben, brachte ich schon auf. Ich kletterte hinauf, musste mich ein bisschen recken und zerrte dann an der Keramikdose. Mit beiden Händen hob ich den Deckel und schnüffelte beglückt den verlockenden Duft. Stolz auf mich selbst fischte ich eines der in Pergamentpapier eingewickelten Täfelchen heraus. Meine ungeduldigen Finger hatten Mühe, die Verpackung aufzureißen, aber dann lag das unregelmäßig geformte Rechteck aus reiner Kakaomasse vor mir. Ich hielt nichts von halben Sachen, ich stopfte es mir gierig in den Mund.
    Als Mama kurz darauf in die Küche zurückkehrte, fand sie mich heulend auf dem Boden sitzen, den Mund und die Finger von Kakao verschmiert, das ausgespuckte Täfelchen am Boden.
    »Bitter!«, jammerte ich und rieb mir wieder und wieder über die Lippen. »So bitter.«
    Mama füllte umgehend einen Becher mit Milch und Honig, verrührte beides schnell, nahm mich auf den Schoß und flößte mir das süße Getränk ein.
    »Eine bittere Erkenntnis, was, mein Schatz?«, fragte sie mich ohne Vorwurf in der Stimme. »Das Bittere, kleine Amara, schmeckt nur dann, wenn es mit Mildem und Süßem ergänzt wird. Die Bitternis erträgt man nur als Teil einer wohlausgewogenen Mischung.«
    Was sie damit meinte, verstand ich nicht, aber weil sie nicht böse mit mir war und der scheußliche Geschmack allmählich von meiner Zunge wich, trockneten die Tränen auf meinen Wangen, und getröstet lehnte ich meinen Kopf an Mamas Schulter.
    Nie wieder würde ich diesen widerlichen Kakao anrühren. Nie! Ganz bestimmt nicht! So lange nicht, bis er endlich genauso gut schmeckte, wie er roch.
    Das hatte er davon!
    So.

Das Ende aller Dinge
    Ein Posten ist vakant! – Die Wunden klaffen -
Der eine fällt, die Andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen – Nur mein Herze brach.
    Enfant perdu, Heine
     
     
    Am selben Tag, an dem Amara auf Evasruh, dem mecklenburgischen Landgut der Grafen von Massow, ihre bittere Erfahrung machte, traf auch einen neunjährigen Jungen ein bitteres Schicksal. Er erwachte mit höllischen Kopfschmerzen, und als seine Sicht sich allmählich klärte, schloss er voller Entsetzen wieder die Augen. Er befand sich, das war das Einzige, was er denken konnte, inmitten eines Meeres von Grauen. Neben ihm stöhnte ein Mann, hinter ihm röchelte ein anderer. Jemand schrie gepeinigt auf, und eine warme Flüssigkeit tropfte auf sein Gesicht. Es stank erbärmlich nach Erbrochenem und anderen Widerwärtigkeiten, nach Blut und Angst. Fort von hier, dachte er, doch als er sich vorsichtig aufsetzen wollte, sah er einen Mann mit einem halb abgerissenen Arm neben sich liegen. Es würgte ihn in seiner Kehle, und der Schmerz aus der Brandwunde an seinem Arm zuckte auf wie eine Stichflamme.
    In diesem Moment ging die Tür der Scheune auf. Zwei Männer trugen einen dritten herein, schoben mit den Stiefeln zwei leblose Gestalten zur Seite und legten den blutenden Körper ab. Der eine, ein rotberockter Hüne, sah sich im Halbdunkel um, und sein Blick blieb an dem würgenden Jungen in den abgerissenen Kleidern hängen. Er sagte etwas zu seinem Begleiter, und kurz darauf erschien ein müder Offizier, der sich über ihn beugte.
    »Bist du verwundet, Bursche?«, fragte er, und der Junge tastete mit der Hand nach der Beule an der linken Seite seines Kopfes.
    »Ah, verdammtes Glück gehabt. Wie heißt du?«
    Der Junge überlegte. Das war eine schwierige Frage, aber irgendetwas dämmerte durch die roten Schmerznebel in seinem Kopf. Wie hatten sie ihn immer gerufen?
    »Master«, stammelte er. »Master... Alexander.«
    »Mhm«, meinte der Offizier im roten Rock. »Kannst du mit Pferden umgehen?«
    »Ja, Sir.«
    »Gut, dann komm hier raus. Die Franzosen haben das Hasenpanier ergriffen, im Augenblick ist alles ruhig.«
    Er half dem schwankenden Jungen auf die Beine und führte ihn aus der Scheuer. Doch der Anblick draußen war nicht viel besser. Rund um das Gehöft lagen die Leichen Gefallener, stöhnten die Verwundeten und Sterbenden. Verendete Pferde streckten ihre Beine in die pulverrauchgeschwängerte Luft, vereinzelt fielen noch Schüsse. Doch die Kanonen schwiegen.
    Es war Abend geworden, ein trüber, wolkenverhangener Abend, dessen Dunkelheit sich gnädig über das Grauen einer großen, blutigen Schlacht senkte. Einer Schlacht, die das Schicksal des Kaisers der Franzosen endgültig besiegelte

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