Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
Prolog
I ch träume.
Ich werde erwachen und keine Erinnerung wird geblieben sein aus der Zeit des Abtauchens in eine andere Welt. Doch noch befinde ich mich im Strudel des Unterbewusstseins, im Glauben, dass alles, was geschieht, real ist.
Es passiert wirklich. Jetzt, in dieser Zeit. In meinen Träumen.
Ich beobachte mich. Ich bin nicht ich in diesem Traum. Ich sehe mich von außen. Nicht wie im wirklichen Leben von innen. Und doch weiß ich nicht, dass ich träume.
Die Bilder meines Traumes laufen davon. Ich kann sie nicht halten, sie sind fort, bevor sie richtig da waren. Alles passiert zu schnell. In einem Zeitraffer. Und doch sind die Bilder gestochen scharf, jedes einzelne brennt sich in meinem Kopf ein, für die Zeit des Träumens.
Gibt es Parallelen zu den Empfindungen, die jemand fühlt, wenn er stirbt? Wenn wir sterben, läuft das gelebte Leben wie ein Film vor unseren Augen ab? Ein ganzes Leben in einem Zeitraffer?
Im Traum ist es ähnlich. Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes.
Doch die Bilder sind anders. Ich träume nicht immer von Vergangenem, nicht alles, was in meinen Träumen geschieht, habe ich jemals erlebt und manches werde ich, so Gott will, auch niemals erleben.
Es sind Dinge, die so unfassbar furchtbar sind, dass ich mich aus diesem Grund nicht daran erinnern werde. Ich kann es nicht. Wenn ich es täte, würde ich wahnsinnig werden.
Wenn ich erwache, schweißgebadet, dann weiß ich, dass ich geträumt habe. Doch das Unbegreifliche bleibt verborgen in meinem tiefsten Inneren.
Bis zu meinem nächsten Traum. Und da bin ich jetzt. Es passiert. Jetzt in diesem Moment.
Sie sind zu dritt. Ein unsichtbares Band verbindet sie. Ich kann es sehen. Sie stehen auf einem Gerüst, das so hoch ist wie ein Wolkenkratzer. Sie halten ihre Hände. Es sind kleine Hände. Sie halten sie so fest, dass es schmerzt. Ihre Füße berühren den Rand. Die Angst lähmt sie. „Schaut nicht hinunter!“, rufe ich. „Schaut nicht in diesen Abgrund!“ Etwas nähert sich von hinten, ganz still schleicht es an sie heran. Sie wissen, dass es kommen wird. Tränen der Furcht kullern aus ihren weit aufgerissenen Augen. „Lasst euch nicht los!“, schreie ich. „Niemals! Lasst euch niemals los!“ Sie spüren das Grauen, der Atem des Bösen streift ihre Nacken. Es zerrt an ihnen. Immer wieder zerrt es. Sie wanken, doch sie halten einander fest. Das Teuflische spielt mit ihnen, es will sie trennen, doch nichts und niemand wird sie trennen. Niemals.
Ich wache auf. Warum zittere ich? Ist mir kalt?
Doch mein Körper glüht. Ich bin müde. Ich will schlafen, nur noch schlafen.
W äre ihr Gegenüber in der Lage, Molly Jo Hazelwoods Gedanken zu lesen, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit voller Panik das Weite suchen. Doch war dem Tankstellenpächter glücklicherweise diese Gabe nicht zuteil geworden, sodass er weitgehend uninteressiert die ältere Dame mit den zerzausten Haaren betrachtete, die vor wenigen Minuten seine Tankstelle betreten hatte. Teilnahmslos nahm er die Geldscheine entgegen, die sie ihm reichte. Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, dass er englische Pfund in den Händen hielt.
„Was soll das werden?“, fragte er die Frau schroff. „Wir sind hier in Deutschland, da können Sie nicht mit Ihrem Spielzeuggeld bezahlen.“
Seine Stimme hatte er leicht erhoben, als wäre er der Meinung, seine Kundin sei entweder taub oder senil, oder beides.
Als er widerwillig den Kopf hob, schaute er in ein rundes, mit feinen Falten durchzogenes Gesicht. Ihr Blick aus sanften braunen Augen war freundlich, doch es lag noch etwas Geheimnisvolles in diesen Augen, etwas nicht Greifbares. Ein undefinierbares Gefühl überkam ihn, und es machte ihn wütend.
„Also Lady, ich hätte gerne 78,20 Euro von Ihnen.“ Energisch reichte er ihr die Geldscheine zurück.
„Sorry, my dear. Ein Versehen“, antwortete die kleine Dame mit einem starken englischen Akzent. Sie lächelte ihn an und sagte: „Oh, richtet nicht, denn wir sind alle Sünder. Die Alten sind vergesslich!“
Spätestens nach diesen Worten war sich der Pächter im Klaren, dass es sich bei seiner Kundin um eine Verrückte handeln musste. Nervös blickte er in die Überwachungskamera über ihm, doch zu seiner Erleichterung zahlte die Frau den von ihm verlangten Betrag nun in Euro und verließ ohne ein weiteres Wort das Geschäft.
Molly Jo Hazelwood stieg langsam in ihren bunt bemalten VW-Bus und steuerte müde die A4 Richtung Köln an.
Sie hatte
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