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Göttin der Rosen

Göttin der Rosen

Titel: Göttin der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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blieb. Er war mit Feder und Tusche gezeichnet. Ein großer Kreis symbolisierte die Grenze der Rosenmauer, und innerhalb des Kreises befand sich ein verblüffend detailgetreuer Grundriss des Gartens. Im Norden war der Palast eingezeichnet, und man erkannte sogar den Südbalkon, auf dem sie jetzt saßen, und die Klippe hinter dem Palast, mit den Quellen und den einmaligen Rosenbeeten – Mikkis Privatgarten.
    Hekates Tempel war als Kuppelform eingezeichnet, daneben der riesige Brunnen, der, wie Mikki jetzt sehen konnte, wirklich das geographische Zentrum des Gartens bildete. Wie die Speichen eines Rads fächerten sich von dort die Rosenbeete auf, eingebettet in ein labyrinthisches Netz von Pfaden.
    Eigentlich hatte Mikki einen primitiven Plan erwartet, das Äquivalent einer Strichmännchen-Zeichnung, aber der Wächter hatte etwas erschaffen, was nicht nur detailliert, sondern auch noch schön war. Völlig perplex blickte sie von dem Plan zu der Kreatur, die ihn mit solch offensichtlicher Sorgfalt und unerwartetem Talent gezeichnet hatte.
    »Wächter, dieser Plan ist ja wundervoll! Alles ist leicht zu erkennen, und so kann ich den Dienerinnen gut zeigen, wer für welches Viertel zuständig ist. Außerdem ist er auch für mich von großem Wert, denn jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen, dass ich mich nicht zurechtfinde.« Unwillkürlich blickte sie auf seine Hände, die viel eher wie Pranken aussahen als wie die filigranen Werkzeuge eines Künstlers. »Wie hast du das nur gemacht?«
    Einen Moment war er still, dann hob er langsam die linke Hand. Sie war geformt wie eine Menschenhand, nur größer, mit dickeren, kräftigeren Fingern, als Mikki es selbst bei einem professionellen Football-Linebacker normal gefunden hätte.
    »Sie sind geschickter, als sie aussehen«, erklärte er. »Im Lauf der Jahrhunderte habe ich gelernt, mit ihnen umzugehen.«
    Dann spreizte er die Finger, seine Hand zitterte, und plötzlich wuchs aus jedem Fingernagelbett eine lange, spitze, krallenartige Klaue.
    »Ach du heilige Scheiße!«, japste Mikki.
    Er stieß ein raues Lachen aus. »Ist das ein Fluch?«
    Sie richtete sich auf. »Ja, ein schlimmer. Ich sollte besser auf meine Ausdrucksweise achten, aber du …« Sie verstummte und konnte nur sprachlos auf die fünf gefährlichen Dolche starren, in die seine Finger sich verwandelt hatten.
    »Ich habe Euch erschreckt«, vollendete er den Satz für sie.
    »Nein«, widersprach sie hastig, »du hast mich nicht erschreckt, nur überrascht.« Ihre Blicke begegneten sich. »Darf ich sie anfassen?«
    »Ja …« Das Wort kam tief aus seiner Brust.
    Vorsichtig berührte sie eine der schimmernden Klauen. »Du bist wie Wolverine.«
    »Du meinst das kleine, gemeine Tier, das man auch Vielfraß nennt?«
    »Nein.« Sie war so fasziniert, dass sie die Augen nicht abwenden konnte. Die Klaue fühlte sich unter ihrer Fingerspitze kalt und hart an. »So heißt eine Phantasiefigur, die erfunden worden ist für etwas, was man in meiner alten Welt einen Comic nennt. Wolverine ist ein Mann mit ganz speziellen Talenten. Eine davon ist, dass er Klauen aus seinen Händen schnellen lassen kann, genau wie du.«
    Der Wächter löste den Blick nicht von seinen Händen, während Mikki weiter mit ihrem sanften, warmen Finger über die Klaue strich.
    »Und ist dieser Wolverine ein Dämon, gemieden und ausgestoßen vom Rest der Comic-Figuren?«
    »Er bringt sich vielleicht öfter in Schwierigkeiten, als nötig ist, aber er hat ein gutes Herz und gibt sich große Mühe, das Richtige zu tun.« Jetzt sah sie ihn endlich wieder an. »Wenn man ihn besser kennenlernt, versteht man, dass sein einziger Dämon derjenige ist, den er in seinen eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen glaubt.« Mikki konnte den Blick nicht von ihm abwenden; seine dunklen Augen raubten ihr fast den Verstand. Ganz langsam veränderte sich die Realität, bis es auf einmal keine Rolle mehr spielte, was er war, solange er sie nur weiter so anschaute – als wäre sie seine Welt.
    Dann spürte sie, wie seine Klauen wieder zurückglitten, und auf einmal merkte sie, dass ihre Hand in seiner ruhte. Mit einem nervösen Kichern zog sie sie weg. »Dann benutzt du also deine Krallen als Zeichenfedern?«
    »Ja, Empousa.« Sein Gesicht verhärtete und verschloss sich wieder.
    Mikkis Magen krampfte sich zusammen. Sie wollte nicht, dass er sich wieder von ihr distanzierte, deshalb legte sie ihm, bevor sie sich setzte, sanft die Hand auf den Arm. Sofort schaute er ihr

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