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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seinen Blick erwidern wollte, starrte er an ihr vorbei zum Fenster hinaus. Daraufhin schaute auch sie nach draußen und erkannte, daß sie die Stadt verlassen hatten und durch die offene Wüste fuhren.
    »Die Große Namib«, sagte Valerian ehrfurchtsvoll. »Man sagt, dies sei eine der schönsten Wüsten der Welt.«
    Der Nebel blieb allmählich zurück. Der Wüstensand war hier dunkler als in unmittelbarer Nähe des Ozeans, ein helles Braun, in den Senken immer wieder von weißen Staubseen durchbrochen. An manchen Stellen wuchsen karge Gräser. Hier und da ragte das Gerippe eines Baumes vor dem azurblauen Himmel empor.
    Cendrine legte das Buch beiseite und versank im Anblick dieser Landschaft, die ihr unglaublich fremd und zugleich faszinierend erschien. Die unermeßliche Weite beunruhigte sie ein wenig, und erneut fragte sie sich, ob ihre Entscheidung, hierherzukommen, wirklich richtig gewesen war. Doch, ja, es war längst an der Zeit gewesen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das hier war ihr erster Schritt dorthin, und wenn sie ihn jetzt bereute, hätte sie auch gleich in Bremen bleiben und sich irgendwo als Näherin oder Fabrikarbeiterin verdingen können.
    Nun war sie also hier, auf der anderen Seite der Erde, und sie sollte sich, Herrgott noch mal, glücklich schätzen! War es nicht das, was sie sich seit einem Jahr herbeigesehnt hatte? Mit dem bißchen Angst vor dem Neuen, das sie jetzt überkam, würde sie schon fertig werden.
    »Die deutsche Besiedlung dieser Gegend hat in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen«, sagte Valerian, und sogleich fürchtete Cendrine, er werde ihr einen Vortrag über die Kolonialgeschichte Südwests halten. »Vor uns waren hier die Engländer«, fuhr er fort, »aber nur ein unorganisierter Haufen von Farmern und ein paar fahrende Händler. Nichts, das hätte Bestand haben können.«
    »Sie scheinen stolz auf das, was die Deutschen hier unten aufgebaut haben.« Sie fragte sich, ob er wohl den Anflug von Hohn in ihrer Stimme bemerkte.
    »Stolz? Vielleicht.« Er überlegte. »Ja, doch, ich bin stolz. Sogar auf meinen Vater, auf Männer wie ihn, die sich innerhalb weniger Jahre aus dem Nichts emporgearbeitet haben.«
    Sogar auf meinen Vater. Der Vorbehalt konnte ihr nicht entgehen, und wahrscheinlich lag das in seiner Absicht. Einen Augenblick lang war sie versucht, nachzuhaken und mehr über den Konflikt zwischen Vater und Sohn herauszufinden, doch dann fand sie ihr Vorhaben anmaßend. Also wechselte sie das Thema.
    »Welche Verkehrsmittel gibt es hier noch außer der Bahn? Kamele?«
    Er nickte. »Kamele, Pferde natürlich. Und Ochsenkarren. Überall Ochsenkarren. Die Eingeborenen bevorzugen sie vor jeder anderen Art der Fortbewegung.«
    »Es gibt hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Eingeborenenvölker, oder?«
    »Haben Sie das aus dem Buch da?« Er deutete auf den Band, in dem sie eben gelesen hatte. »Wissen Sie, es stimmt, es gibt hier allerlei Völker, aber für uns Kolonisten ist eines wie das andere.«
    »Ihre Arroganz ist wirklich bemerkenswert.«
    »Ich bin Soldat der Schutztruppe. Meine Aufgabe ist es, unsere Landsleute vor den Schwarzen zu schützen. Ob es sich um Damara oder Herero oder Hottentotten handelt, spielt dabei keine Rolle.«
    Gerade erst hatte sie sich mit seiner Anwesenheit abgefunden, doch nun machte er sie schon wieder wütend. »Sollte man nicht etwas mehr Verständnis für die Kultur dieser Menschen aufbringen, wenn man ihnen schon ihr Land wegnimmt?«
    »Ach, du meine Güte, eine von denen sind Sie!«
    »Wie, bitte, soll ich das verstehen?«
    »Sie kommen her, keine Ahnung von dem Leben hier unten, und bilden sich ein, uns Ratschläge geben zu müssen. Wissen Sie, wie viele der ersten Missionare im letzten Jahrhundert von den Eingeborenen ermordet worden sind?«
    »Und wie viele Eingeborene haben Sie und Ihre Schutztruppe in den vergangenen Jahrzehnten niedergemacht?«
    »Ich persönlich? Keinen einzigen.«
    »Sie wissen genau, was ich meine.«
    »Wir nennen uns nicht umsonst Schutztruppe, Fräulein Muck. Und Schutz ist etwas, das jeder hier unten verdammt gut gebrauchen kann, das werden auch Sie noch einsehen.«
    Seine Überheblichkeit war ihr zuwider, aber zugleich fragte sie sich, ob das Dasein in diesem Land tatsächlich so gefährlich war, wie er behauptete. Sie war jedoch zu stolz, weiterzubohren. Er sollte nicht glauben, ihr Angst einjagen zu können.
    Eine ganze Weile lang schwiegen sie. Cendrine entdeckte draußen

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