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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Ihr seht, bin ich selbst mit einem deutlichen Makel ausgestattet. Deshalb denke ich, dass das Schicksal nur besondere Menschen mit solchen Zeichen versieht.« Mit dem rechten Zeigefinger tippte er erst auf das linke, dann auf das rechte Auge und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Erlaubt mir, mich kurz vorzustellen. Mein Name ist Laurenz Selege, Werkmeister aus Königsberg. Ein Auftrag führt mich in Eure Stadt. Meine Mutter war in meiner Heimatstadt Löbenicht Hebamme. Vor etwa siebzehn Jahren hat sie einer jungen Frau bei der Geburt von Zwillingen geholfen, ein Mädchen und ein Junge. Die beiden Kinder trugen ein ebensolches Feuermal im Nacken wie Ihr. Ich weiß das so gut, weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Auch wenn ich damals noch ein vorlauter Lausbub von kaum zehn Jahren gewesen bin, der sich für vieles, nur nicht für anderer Leute Säuglinge interessiert hat: Diese beiden vom Schicksal gezeichneten Kinder sind mir bis heute fest im Gedächtnis geblieben. Zeit meines Lebens lassen sie mich nicht mehr los.«
    Nachdenklich glitt sein Blick in die Ferne.
    »Warum?«, fragte sie. »Warum denkt Ihr, die Kinder seien vom Schicksal besonders gezeichnet gewesen? Ist ihnen später etwas so Außergewöhnliches widerfahren?«
    »In gewisser Weise schon«, erwiderte er zögernd. »Viel weiß ich darüber allerdings nicht. Sowohl die Kinder wie auch die Mutter sind bald schon aus dem Löbenicht verschwunden. Kurz nach der Geburt ist der Vater eines tragischen Todes gestorben. Ich bin im Übrigen nicht der Einzige, der die Familie nicht vergessen hat. Meine Mutter hat ihr trauriges Los ebenfalls zeitlebens beschäftigt. Dabei hat sie unzählige Kinder auf die Welt geholt und mehr als zwei Generationen Löbenichter Frauen während der Geburt betreut. Bis aufs Sterbebett aber hat sie immer wieder von diesen Zwillingen und ihrem schweren Los gesprochen.«
    Von neuem legte er eine Pause ein, horchte den eigenen Worten nach. »Ihr müsst dasselbe Alter haben wie diese Kinder. Und nun habt Ihr ebendieses Mal wie sie.«
    Damit warf er wieder einen forschenden Blick auf ihren Hals. Längst war sie sicher, dass das Tuch das Feuermal ausreichend verdeckte. Niemand konnte ahnen, wie deutlich es sich vom Haaransatz bis hinunter in den Nacken zog. Umso verwirrender, dass er es so genau zu beschreiben wusste.
    »Ich habe keinen Bruder«, erwiderte sie schroff und erschrak über sich selbst. Sanfter fügte sie hinzu: »Ich habe gar keine Geschwister, und mein Vater, Zacharias Fröbel, Gott sei seiner armen Seele gnädig, ist erst letztes Jahr gestorben. Sein Todestag jährt sich an Georgi zum ersten Mal.«
    »Oh, verzeiht, das tut mir sehr leid …«
    »Schon gut«, wiegelte sie ab. »Außerdem sind wir hier in Wehlau, wie Euch aufgefallen sein dürfte, und nicht in Königsberg.«
    »Ich bitte Euch nochmals um Verzeihung.« Er deutete eine Verbeugung an und setzte sich das schwarze Barett aufs wellige Haar. »Nichts lag mir ferner, als Euch zu nahe zu treten. Es fiel mir eben nur so ein, welch eigentümliche Zufälle es gibt. Kaum zu glauben, dass mehrere Menschen desselben Alters an derselben Stelle mit demselben Mal gezeichnet sind. Aber so muss es wohl sein.«
    Sein Lächeln erschien ihr verzerrt. Plötzlich begriff sie. Was war sie für eine Närrin gewesen! Wie hatte sie so töricht sein können zu denken, es wäre ihm um sie zu tun? Allein das widerwärtige Mal an ihrem Hals hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Nur deshalb hatte er sie überhaupt erst beachtet. Ihre Wangen färbten sich rot vor Scham.
    »Lebt wohl!«, verabschiedete sie sich heiser und tat, als müsste sie Griet am Herdfeuer mit dem Suppenkessel zur Hand gehen. Er nickte bloß und verließ die Schankstube.

3
    I m Hinterhof des Silbernen Hirschen staute sich die Luft. Kurz vor Mittag erreichten zwar nur mehr wenige Sonnenstrahlen den festgestampften Boden, trotzdem hatten die Morgenstunden bereits ausgereicht, das ummauerte Geviert aufzuwärmen. Der Frühling nahte mit großen Schritten. An den Büschen sprangen die ersten Knospen auf, am Apfelbaum zeigten sich zaghafte Blütenansätze.
    Gunda freute sich über das Ende der trüben Wintertage, zugleich aber beschlich sie Trauer. In wenig mehr als einer Woche stand Georgi vor der Tür. Kaum zu glauben, dass der gute Zacharias Fröbel dann bereits ein Jahr tot war. Sie vermisste den liebevollen, lebensklugen Gefährten noch genauso schmerzlich wie am ersten Tag. Wehmut erfasste sie. Ein weiterer treuer

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