Goldbrokat
Baumwollröcke oder Leinenschürzen, aus denen ich die Kinderkleider fertigte, interessierten mich diesmal nicht, sondern ich benötigte die großen Roben, die die vornehmen Damen getragen hatten. Üblich war es, dass sie diese, wenn sie unmodern, verschmutzt oder zerrissen waren, ihren Dienstmädchen weitergaben. Die
aber trugen sie nicht selbst, was verständlich war, sondern brachten sie häufig zu dem alten Isaak, der ihnen dafür einiges an Geld gab. Damit kauften sie sich dann billigen, aber modischen Putz. Das wusste ich deshalb, weil ich es früher mit meinen Gesellschaftskleidern ebenso gehalten hatte, als ich noch elegante Kreationen und ein Dienstmädchen besaß. Die Zeiten wandelten sich.
Im Augenwinkel sah ich etwas Rosenrotes unter Dutzenden von verwaschenen Kattunkleidern schimmern, und schon zerrte auch Philipp mit Kennermiene einen Umhang aus schwerem Atlas hervor, der mit hellrosa Taft gefüttert war. Der Pelzbesatz am Saum war grob abgetrennt, der Stoff hier und da zerrissen, aber ich lobte den Jungen für den Fund. Seine Schwester schüttelte einen mottenbenagten Paisley-Shawl aus, doch für den hatte ich keine Verwendung. Ein fleckiger, aber mit feiner Durchbrucharbeit verzierter Unterrock fand jedoch meine Billigung. Ich selbst hatte ebenfalls ein recht ordentliches graues Kreppkleid ausgegraben. Madame Mira besaß ein gutes Auge für Samtbesätze, Bänder oder Borten, und mit ihren klauenartigen Fingern angelte sie geschickt einige spitzenbesetzte Blusen und Hemden aus den muffig riechenden Haufen.
Als wir unsere Beute zusammenlegten, beobachtete ich, wie Philipp Laura in die Seite knuffte. Na gut, jetzt begann der spannende Teil der Unternehmung, und die beiden hatten ein unheiliges Vergnügen daran, wie ich mit dem alten Isaak um den Preis feilschte. Denn das ging nur mit großen Gesten, Augenrollen und Wehklagen seinerseits und kühlen Erwiderungen meinerseits vonstatten. Ich nährte den Verdacht, dass er dabei einen ebenso großen Genuss empfand wie ich. Schließlich wurden wir uns einig, die Ware in große Leinentaschen verpackt, und wir machten uns auf den Heimweg. Laura und Philipp gingen hinter Madame Mira und mir, und ich hörte sie die Unternehmung kommentieren.
»Er spielt doch nur den armen Mann!«, flüsterte Laura. »Dem macht das Spaß, so zu jammern!«
»’türlich. Madame Mira sagt, er hat sich schon’ne goldene Nase mit dem Zeug verdient.«
»Warum gibt er es uns dann nicht einfach billig? Wir haben doch wirklich kein Geld.«
»Psst, das darf doch keiner wissen.«
»Der weiß das aber. Sonst würde Mama nämlich neue Kleider kaufen.«
Es machte mich traurig und wütend, dass meine Kinder es so sehen mussten. Den Wert des Geldes hatte ich ihnen schon sehr früh erklärt, und seit sie das Rechnen beherrschten, wussten sie auch um die Schwierigkeiten, in denen Tante Caro steckte. Aber ich hatte ihnen streng klargemacht, dass es eine Frage der Ehre war, Außenstehenden und Landratten gegenüber davon zu schweigen.
Vorsichtshalber nahmen wir den Hintereingang und schlichen uns zum Nähzimmer unter dem Dach hoch. Hilde, die Haushälterin, bemerkte uns dennoch, nickte uns aber verschwörerisch zu und teilte mir mit, die Hausherrin sei noch unterwegs.
»Schön, dann können wir ja gleich mit der Arbeit beginnen.«
Laura machte sich mit Begeisterung über die Tasche her, aber Philipp musste erst noch mit innerlichem Bedauern die Kapitänsmütze abnehmen, bevor er zu schnöder Schneiderarbeit bereit war. Der große chinesische Seidenteppich war nun nicht mehr das wilde Meer, sondern lediglich eine bequeme, weiche Unterlage, auf der wir die weiten Kleider und den Umhang ausbreiteten. Ich verteilte kleine Scherchen, mit denen die Nähte aufgetrennt werden sollten. Auch wenn mein Sohn geschickt darin war, handelte es sich hierbei um eine Beschäftigung, die er nicht besonders schätzte. Er rutschte unruhig hin und her, versuchte Captain Mio unter dem Sessel hervorzulocken, zerriss dabei einen Spitzenkragen und erhielt einen scharfen Verweis von Madame Mira.
»Du bist ein richtiger Zappelphilipp! Setz dich doch endlich mal ruhig hin.«
Eine Weile ging es gut, aber dann kribbelten ihm wieder die Beine, und er musste aufspringen und am Fenster nachschauen, was sich auf der Straße tat. Dabei hüpfte er von einem Bein auf das andere, um das Kribbeln zu vertreiben. Ich verstand ihn ja, ein zehnjähriger Junge brauchte Bewegung, aber Madame Mira war strenger mit ihm.
»Philipp,
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