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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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als kleiner Angestellter eines großen französischen Handelshauses Klinken putzen. Und sein Sohn Wilhelm wurde Lehrling bei Dufour in Lyon.« Madame Mira grinste. »Wo er nur Wasser und Brot und Prügel bekam und nie die Sonne sehen durfte.«
    »Pah!«, kommentiere Philipp die letzte Bemerkung.
    Aber der Punkt ging leider an Laura.

Faule Eier
    Das Gute und das Böse, Belohnung und Strafe,
sind die einzigen Motive eines rational denkenden Lebewesens;
sie stellen die Sporen und Zügel dar,
mit der die gesamte Menschheit zur Arbeit
veranlasst und angeleitet wird.
     
    John Locke
    Wie jeden Tag besuchte Guillaume de Charnay die luftigen Seidenbauzimmer auf seinem weitläufigen Grundstück nördlich von Lyon und überprüfte die Leinwandbehälter, in denen die Eier der Seidenspinner überwinterten. Gelegentlich befahl er seinen Leuten, die Seidensaat auch jetzt im Herbst nach draußen zu bringen, damit sie dem kalten Wind und Regen ausgesetzt wurden, damit die Larven möglichst erst zum Frühjahr schlüpften.
    Er war recht zufrieden mit der Zucht, ja, er spielte sogar mit dem Gedanken, sie noch etwas zu erweitern. Denn seit beinahe dreizehn Jahren hatte eine seltsame Krankheit hier und dort die Raupen befallen, sodass sie keine Kokons bildeten. Aus diesem Grund stieg die Rohseide immer weiter im Wert. Er war bisher weitgehend von dieser Seuche verschont geblieben, was er darauf zurückführte, dass er immer penibel darauf geachtet hatte, die braunfleckigen Seidenwürmer so schnell wie möglich entfernen zu lassen.
    Was genau diese Krankheit verursachte, wusste man nicht, aber die meisten Raupen starben schlichtweg, und nur einige wenige schafften es, sich zu verpuppen.
    Er hatte vor zwei Jahren zunächst aus Neugier die ausgesonderten
Raupen in einer entfernten Hütte untergebracht und erstaunt festgestellt, dass einige dieser Tiere es dennoch schafften, sich zu verpuppen und als fortpflanzungsfähige Falter zu schlüpfen. Die Eier dieser Seidenspinner hob er ebenfalls in besonderen Behältern fern von seiner gesunden Zucht auf, denn die daraus geschlüpften Raupen waren überwiegend geschädigt. Er hatte mit einigen Fachleuten darüber korrespondiert, denn es hätte ihm gefallen, als der Retter des Seidenbaus gepriesen zu werden. Aber die Wissenschaftler waren genauso ratlos wie die Züchter. Aus Neugier behielt er die infizierten Eier jedoch, denn er hatte vor, demnächst einige Experimente mit ihnen zu machen. Angeblich sollte Begasung mit Chlor die Krankheit eindämmen.
    Immerhin hatte er seine Zucht sauber gehalten und empfand keinerlei Skrupel, aus dem Missgeschick der Konkurrenten Profit zu schlagen. Daher plante er eine Ausweitung seines Gutes.
    Die Vergrößerung seines Unternehmens hing in erster Linie von der Menge der Maulbeerbäume ab, deren junges Laub den nimmersatten Seidenwürmern als Nahrung diente. Darum hatte er ein Auge auf das Land geworfen, das seinem Nachbarn, ebenfalls ein Seidenbauer, gehörte. Ein breiter Streifen, derzeit Weideland für ein paar Ziegen, würde sich wunderbar zur Erweiterung seiner Maulbeerplantage eignen.
    Er blickte nach Osten, wo sich die Grenze durch eine jetzt blattlose Hecke wilder Büsche entlang zog, und fasste seinen Entschluss. An diesem Nachmittag wollte er hinüberreiten und dem Mann ein Angebot für das Stück Wiese machen. Einen ordentlichen Preis würde er ihm selbstredend bieten.
    Doch sein Angebot wurde recht unfreundlich mit der Begründung abgelehnt, dass man die Ziegenherde zwecks Herstellung eines besonderen Käses behalten wolle und dazu die Weide benötige. Dass jemandem Ziegenkäse wichtiger sein sollte als das Geld, das er für das elende Stück Land bot, für das er eine weit bessere Nutzung wusste, erboste Charnay ungeheuerlich. Er fasste es als persönlichen Affront auf, und nur mit der ihm
auferlegten strengen Disziplin gelang es ihm, sich einigermaßen höflich zu verabschieden. Er hasste es, nicht sogleich das zu bekommen, was er sich wünschte.
    Als er sein Gut erreichte, hatte er sich allerdings wieder fest im Griff. Erfreut darüber, dass er Herr seiner Gefühle geblieben war, erlaubte er sich, über eine angemessene Belohnung nachzudenken. Zunächst erwog er, die strenge Diät aus dunklem Brot, Wasser und einem Apfel, die er sich seit Jahren auferlegt hatte, zu durchbrechen und sich bei der Haushälterin ein gebratenes Huhn zu bestellen, dann aber bemerkte er die sehr junge Bedienstete, die mit einem Stapel frischer Bettwäsche zu seinem

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