Goldfasan
Wohnung, öffnete den Schrank, holte die schwarze SS-Uniform heraus und zog sie an. Dann machte er sich auf den Weg nach Dortmund.
Im Zug spürte er die Unsicherheit der Menschen angesichts der Uniform mit den Totenköpfen. Obwohl der Wagen voll besetzt war, vermieden es die anderen Fahrgäste, sich auf den freien Platz neben ihm zu setzen.
Golsten war froh, als er den Zug am Dortmunder Hauptbahnhof verlassen konnte. Noch nie zuvor war ihm so bewusst geworden, welche Wirkung eine SS-Uniform auf andere hatte. Aber für das, was er vorhatte, war die Uniform unerlässlich.
Es war nicht weit bis zur Steinwache. Golsten wies sich an der Pforte aus und fragte nach dem Weg zum Zellentrakt. Dort suchte er den Wachhabenden auf.
Mit aller Arroganz, die er aufbringen konnte, schnarrte er: »Heil Hitler. Hauptsturmführer Golsten. Heute Morgen wurde ein Gefangener aus meiner Dienststelle in Bochum hierher überführt. Sein Name ist Heinz Rosen. Ich muss ihn noch einmal kurz befragen. Sie haben doch sicher ein Verhörzimmer?«
»Ja, natürlich. Aber …« Der Unteroffizier war sichtlich irritiert.
»Was aber?«, bellte Golsten. »Ist Rosen etwa nicht in Ihrem Gewahrsam?«
Der Wachhabende blätterte in einer Kladde. »Doch, natürlich. Aber mir liegt keine Meldung vor, dass der Gefangene erneut verhört werden soll.«
»Das ist ja auch schlecht möglich. Schließlich haben wir ihn Ihnen ja erst vor einigen Stunden übergeben, oder?«
»Sicher. Aber …«
Golsten stieß beide Hände in die Hüften und baute sich vor dem Mann auf. »Ihr Name?«
»SS-Scharführer Mattes.«
»Und Ihr Vorgesetzter?«
»Hauptscharführer Sebbe.«
»Jetzt passen Sie auf, Scharführer. Ich habe nicht die Zeit, lange mit Ihnen zu diskutieren. Entweder Sie holen mir diesen Rosen oder Sie benachrichtigen Ihren Vorgesetzten.« Unvermittelt brüllte Golsten los: »Haben Sie das kapiert, Mann?«
Der Uniformierte schlug die Hacken zusammen und nahm Haltung an. »Jawohl, Hauptsturmführer.«
»Und wie entscheiden Sie sich?«
»Ich führe Ihnen den Gefangenen zu.«
Fünf Minuten später wurde Rosen von Mattes und einem weiteren Uniformierten in die Verhörzelle geschleift.
»Setzen Sie den Mann da auf den Stuhl«, befahl Golsten. »Und dann lassen Sie mich mit dem Gefangenen allein. Ich klopfe, wenn ich mit ihm fertig bin.«
Nachdem die Wächter den Raum verlassen hatten, sprach Golsten Rosen an. »Wissen Sie, wer ich bin?«
Rosen hob müde den Kopf und nickte nur.
Golsten beugte sich vor, sah in das zerschundene, blutig unterlaufene Gesicht des Inhaftierten. »Vielen Dank, dass Sie meine Familie nicht verraten haben«, flüsterte er.
Rosens Antwort war kaum zu verstehen. Golsten musste sein Ohr fast bis an die zerschlagenen Lippen des anderen Mannes führen. »Hätte das etwas geändert?«, fragte dieser.
»Nicht für Sie, glaube ich«, antwortete Golsten. »Trotzdem, ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
»Ich habe es nicht für Sie getan«, antwortete Heinz Rosen leise. »Wenn Sie aber Ihre Schuld begleichen wollen, hätte ich eine Bitte.«
»Ja?«
Für einen Moment blitzte so etwas wie Hoffnung in Rosens Augen auf. »Ich habe einen Brief meiner Freundin bei mir getragen, als ich verhaftet wurde. Diesen Brief hätte ich gerne bei mir, wenn Ihre Kollegen mich umbringen. Können Sie mir helfen? Bitte!«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, erwiderte Golsten ohne innere Überzeugung und hoffte, dass Rosen die Lüge nicht bemerken würde.
»Danke. Und jetzt lassen Sie mich bitte in meine Zelle bringen. Ich möchte die Zeit, die mir noch bleibt, allein verbringen.«
Golsten rief die Wächter herbei und verließ das Verhörzimmer. Er fühlte tiefe Dankbarkeit diesem Menschen gegenüber, den er seinen Häschern ausgeliefert hatte.
Und noch tiefere Scham.
57
Donnerstag, 29. April 1943
S aborski hatte ihn nach Bochum zitiert. Jetzt wartete Golsten im Vorzimmer bei Margot Schäfer auf Einlass.
»Haben Sie auch die Rede des Führers gehört?«, erkundigte sie sich. »Bewegend, nicht wahr?«
Golsten hatte noch nie etwas bewegend an den Auftritten des Österreichers gefunden, ganz im Gegenteil. Ihn stieß das theatralisch geifernde Auftreten Hitlers eher ab. Trotzdem erwiderte er: »Ja. Habe ich.«
»Es ist ja nun nur noch eine Frage der Zeit, bis wir den Krieg gewonnen haben und endlich Frieden ist.«
Auch in diesem Punkt war Golsten anderer Meinung. Frieden vielleicht, aber gewonnener Krieg? Nie im Leben.
»Unsere Soldaten siegen an
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