Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
noch mal bei dir. Habe ich dich in einem ungünstigen Moment erwischt?«
    »Es paßt schon«, sagte ich. Ich begann zu schielen und tat so, als brächte ich mich mit einem den Schlund hinabgerichteten Finger selbst zum Würgen. Natürlich konnte sie das nicht sehen. Ich legte eine rote Acht auf eine schwarze Neun und deckte die letzten drei Karten auf. Soweit ich sah, würde die Patience nicht aufgehen. »Wie geht’s?« fragte ich, vielleicht eine Millisekunde zu spät.
    »Ganz gut, danke. Und dir?«
    »Mir geht’s gut«, sagte ich. »Mensch, ist das ein Zufall, daß du ausgerechnet jetzt anrufst. Gerade wollte ich den Hörer abnehmen. Ich habe den ganzen Vormittag Anrufe erledigt, und du warst die nächste auf meiner Liste.« Ich benutze oft das Wort Mensch, wenn ich das Blaue vom Himmel herunterlüge.
    »Freut mich, das zu hören«, sagte sie. »Ich dachte, du gingst mir aus dem Weg.«
    Ich lachte. Ha. Ha. Ha. »Überhaupt nicht«, sagte ich. Ich wollte meinen Protest schon weiter ausführen, doch sie redete unverdrossen weiter. Da ich ohnehin keine Karte mehr ablegen konnte, schob ich sie allesamt beiseite und begann, meine Schreibtischauflage mit ein paar Arbeitsplatz-Graffiti zu verzieren. Ich schrieb das Wort KOTZ in Blockbuchstaben und versah jeden einzelnen davon mit einer dreidimensionalen Schattierung.
    Sie fragte: »Wie sieht dein Terminplan für morgen aus? Können wir uns eine Stunde zusammensetzen? Ich muß sowieso nach Santa Teresa, und wir könnten uns zum Mittagessen treffen.«
    »Das ginge wahrscheinlich«, sagte ich vorsichtig. In dieser Welt kommt man mit Lügen nur so lange weiter, bis einen die Wahrheit einholt. »Worum geht es denn?«
    »Das würde ich lieber unter vier Augen besprechen. Paßt dir zwölf Uhr?«
    »Klingt gut«, sagte ich.
    »Wunderbar. Ich reserviere uns einen Tisch. Bei Emile’s-at-the-Beach. Wir treffen uns dort«, sagte sie, und mit einem Klicken war sie weg.
    Ich legte den Hörer auf, schob den Kugelschreiber beiseite und bettete meinen Kopf auf den Tisch. Was war ich doch für eine Idiotin! Tasha mußte gewußt haben, daß ich sie nicht sprechen wollte, ich hatte mich aber nicht getraut, ihr das zu sagen. Vor zwei Monaten hatte sie mir aus der Klemme geholfen, und obwohl ich ihr das Geld zurückgezahlt hatte, hatte ich immer noch das Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein. Vielleicht würde ich ihr höflich zuhören, bevor ich ablehnte. Ich hatte noch einen anderen kleinen Auftrag auf Lager. Von einem Anwalt im ersten Stock unseres Gebäudes war ich engagiert worden, zwei Vorladungen zu eidlichen Zeugenaussagen in einem Zivilprozeß zuzustellen.
    Am Nachmittag zog ich los und gab fünfunddreißig Dollar (plus Trinkgeld) für einen regulären Haarschnitt im Friseursalon aus. Sonst gehe ich immer alle sechs Wochen selbst mit einer Nagelschere auf meinen widerspenstigen Schopf los, wobei meine Technik darin besteht, daß ich jedes Haarbüschel abschneide, das hervorsteht. Ich muß mich wohl wirklich verunsichert gefühlt haben, da es mir normalerweise nicht einfiele, bares Geld für etwas hinzublättern, das ich so leicht selbst machen kann. Natürlich habe ich schon öfter zu hören bekommen, daß meine Frisur wie das Hinterteil eines jungen Hundes aussieht, aber was gibt es dagegen einzuwenden?
    Der Morgen des achten Januar brach unvermeidlich an, und ich jagte wie von Furien gehetzt den Fahrradweg entlang. Meistens nutze ich meinen Dauerlauf als Möglichkeit, zu mir selbst zu kommen und den Tag und die Natur am Strand zu genießen. An diesem Morgen war ich ganz auf Arbeit konzentriert und strafte mich schon fast selbst durch die Energie, die ich in mein Training investierte. Als ich meinen Lauf und meine allmorgendlichen Verrichtungen beendet hatte, ging ich gar nicht erst ins Büro, sondern werkelte zu Hause herum. Ich bezahlte ein paar Rechnungen, räumte meinen Schreibtisch auf, wusch eine Maschine Wäsche und plauderte kurz mit meinem Vermieter Henry Pitts, während ich drei seiner frisch gebackenen Zimtschnecken verspeiste. Nervös war ich selbstverständlich nicht.
    Wie üblich, wenn man auf etwas Unangenehmes wartet, schien die Uhr in Zehnminutensätzen vorwärtszuspringen. Ehe ich mich’s versah, stand ich vor meinem Badezimmerspiegel und trug — in Gottes Namen — preisreduzierte Kosmetika auf, während ich mich zusammen mit Elvis, der »It’s Now Or Never« sang, einem Gefühlsausbruch hingab. Die Mitsingerei versetzte mich in meine Schulzeit zurück —

Weitere Kostenlose Bücher