Goldhand (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Trollrückens bis zu den westlichen Ausläufern der Steinholzberge.
Dem Tode näher als dem Leben landete Wikt auf der schmalen Felsterrasse vor den Sandhöhlen Kahlitaers. Sein mächtiger Körper schlug auf den Fels, dass der Berg erbebte. Wikt schrie, als die fleischige Wunde, die sein Bein war, auf nackten Stein traf. Er zwängte seinen massigen Körper durch den Höhleneingang in den Berg, begleitet vom Schmerz und unsäglicher Wut. Rasend biss er in den Stumpf, riss Fetzen toten Fleisches mitsamt Haut und Schuppen und Blut und spuckte alles tief in die Höhlen hinein.
Rache schwor er dort. Büßen sollten jene, die ihn verraten hatten und so mühte er sich viele Tage lang, in denen sein Geist umnebelt war von Schmerz und Einsamkeit, um einen letzten, mächtigen Bann, einen Fluch, der alle Drachen treffen sollte, und schleuderte seine Verwünschung schließlich mit Flammenatem über Land. Ein letztes Mal breitete er seine Schwingen aus und flog hinauf in den Himmel, folgte dem Nordwind ins Landesinnere. Über dem Spahnwald tat er einen letzten, verzweifelten Flügelschlag und stürzte ab. Leblos brach er durch die Bäume, schlug hart auf und sank in den Boden des Waldes.
Wikt ruhte nun in der Erde. Er fühlte sein Leben aus seinem gebrochenen Körper rinnen wie Wasser aus einem zerborstenen Krug. Dunkelheit umgab ihn. Sein riesiges Herz aber schlug unermüdlich weiter, als wäre es ein eigenständiger Teil, unabhängig vom eigenen Leid und Weh. Langsam zwar, aber stetig passte Wikts Herz sich dem gemächlichen Rhythmus der Jahreszeiten an und pulsierte mit ihrem Kommen und Gehen. Viele Jahre lag er reglos, Jahre, in denen der Wind und der Regen sein riesiges Grab mit Staub und Erde bedeckte. Er wartete, und ein kleiner Teil seines ehemals mächtigen Geistes streife durch die Länder der Welt und nahm Anteil an ihren Geschehnissen. Lange nachdem die Geschichten um Hann T’Brien und den schwarzen Drachen zur Legende geworden waren, kehrte das Leben in diesen Teil des Waldes zurück, besiedelten erste Gräser und Kräuter den Boden. Dann kamen Farne und kleine Sträucher und schließlich wuchs die Lichtung vom Rand nach innen mit jungen Bäumen zu, bis auf eine letzte freie Stelle im Zentrum. Dort, wo Wikt lag, wollte nichts wachsen.
Als der schwarze Drache alle Hoffnung auf Leben oder Tod aufgegeben hatte, sprach der Geist des Waldes zu ihm. „Halte aus, Drache! Du sollst wieder Leben. Doch nicht für dich. Dein Name soll dann Wigget sein. Von diesem Augenblick an soll dir eine Aufgabe zuteil werden, deren Bewältigung dich mit wenigen Auserwählten erhebt. Ein Ahornsamen wird dir neues Leben geben. Wenn er aufbricht und zu zu wachsen beginnt, wachse mit ihm. Läutere dein schwarzes Herz.“
Dann, ein Jahr oder einhundert Jahre später, Wikt hatte lange schon aufgehört zu zählen, brach der Ahornsämling auf. Dahliger war geboren. Er durchbohrte auf seinem Weg hinauf ans Licht das verdorrte Herz des Drachen. In einer allerletzten Anstrengung übergab Wikt mit Hilfe des Waldgeistes den Rest seiner selbst an den Sämling. Dann endlich starb Wikt.
Gestärkt durch die Kräfte des Drachen wuchs der belebte Silberahorn weit schneller in den Himmel als seine Brüder und überragte bald den ganzen Spahnwald. Inmitten des Holzes aber war ein Teil Wikts gefangen. Wieder musste er warten. Viele Jahre! Menschen kamen und gingen. Wikt hörte das schmerzerfüllte Kreischen fallender Bäume, geschlagen mit den scharfen Schneiden grober Äxte. Wikt erlebte das Emporstreben junger Bäume und es freute ihn. Doch bei alledem vergaß er nie, was er einst gewesen war. Sein dunkler Geist fand schwerlich Ruhe. Wikt drängte beständig nach außen, suchte die Fesseln aus Holz und Rinde abzustreifen, maß seine Kraft und seinen Willen mit dem Dahligers und unterlag immerzu. Dahliger, der freundliche Ahorn, hielt ihn fest umklammert. In vielen Jahreszeiten lernte Wikt, sich unterzuordnen. Die erste Lektion auf seinem langen Weg von Wikt zu Wigget. Ein weiteres Jahrhundert ruhte er bewegungslos im Holz des Baumes und lernte von Dahliger Güte, Anteilnahme und Standhaftigkeit.
Irgendwann erfuhr Wikt, dass sich ein Kind den Sandhöhlen näherte. War das der Auserwählte? Ein lang vergessenes Gefühl von Aufregung bemächtigte sich seiner. Neigte sich nun endlich die Zeit seiner Gefangenschaft ihrem Ende entgegen? Mit Dahligers Hilfe sandte er seinen Geist über Land und führte das Kind tief in die Sandhöhlen, an jenen Ort,
Weitere Kostenlose Bücher