Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Nun, je eher ich anfing, um so eher hatte ich es hinter mir. Entschlossen verfügte ich, dass das Püppchen ab heute Raik heißen solle.
Während ich begann, lustlos, aber konzentriert die Wände auszumessen und die Maße auf die Tapetenbahn zu übertragen, bemerkte ich, dass der Fleck auf dem Teppich dunkler geworden war. Vollkommen gleichgültig nahm ich das zur Kenntnis, denn inzwischen war sowieso sicher, dass ein neuer Teppich gebraucht wurde. Fast nebensächlich dachte ich darüber nach, dass der Fleck eigentlich hätte heller werden müssen, wenn die Feuchtigkeit getrocknet ist. War doch so, oder? Was feucht ist, erscheint dunkler. Müde winkte ich ab. Warum mir über Physik den Kopf zerbrechen - Fleck bleibt Fleck.
Nachdem ich genügend Tapetenbahnen zugeschnitten hatte, war es endlich soweit, mit dem Kleben zu beginnen. Gut eingekleistert und eingeweicht wickelte ich die Raufaserbahnen um meine Finger und pappte sie elegant von der Deckenkante bis hinab zur Scheuerleiste an die Wand. Mit einer festen Bürste zog ich nach, bis jede Kante akkurat saß. Und von oben bis unten beschmaddert begutachtete ich schließlich das Ergebnis. Für heute hatte ich genug. Das musste erst einmal trocknen.
Ich beseitigte die Überreste meiner Kleisterschlacht und genehmigte mir eine erfrischende Dusche. Grünteeduftend in einen kuscheligen Bademantel gehüllt, machte ich es mir gleich darauf in der Küche bequem, wo mein Notebook schon auf mich wartete. Vorsichtig nippte ich ein bisschen am heißen Kakao, einen Streifzug durch die Blogosphäre beginnend.
Doch was war das? Ich musste zweimal hinschauen, denn ich wollte es nicht glauben. Eines meiner Lieblingsblogs fehlte. War im endlosen Datennirwana verschwunden. Nur eine höhnische Startseite glotzte mich an. "Wie scheußlich!", sagte ich zu mir selbst, "Ich sollte wieder anfangen, täglich Zeitung zu lesen statt Blogs. Die verschwinden wenigstens nicht plötzlich, wenn man sich an sie gewöhnt hat."
Missmutig klappte ich das Laptop zu und blickte in den schwülstig pinkfarbenen Abendhimmel, der sich inzwischen etwas gelichtet hatte. Dann stand ich auf und tappte in den Flur, um das kleine Kärtchen zu holen, das noch immer auf einem der Bücherstapel lag. Ärgerlich nahm ich das oberste Buch, dessen Umschlag einen unerreicht schwülstigeren, künstlichen Abendhimmel darstellte, sowie eine Frau auf einem Pferd, deren langen roten Haare sich flammend mit dem Sonnenuntergang vereinigten, während ihre vollen, bebenden Lippen vor Speichelfluss glänzten, und drehte es mit der Titelseite nach unten, nicht zu vergessen mit dem Buchrücken zur Wand.
Die Visitenkarte lag angenehm geschmeidig und fest in der Hand, eine leichte Prägung im Karton umrahmte die anthrazitfarbenen und schön geschwungenen Lettern: 'Raik van der Maydbrink' – was für ein Name! In Gold würde er sich ja besser machen, aber das hätte ich vielleicht etwas angeberisch gefunden.
Ich tippte seine Telefonnummer in mein Telefon, überlegte es mir anders und löschte wieder alles. Bei dieser Gelegenheit löschte ich gleichfalls alle anderen Nummern in meinem elektronischen Datenspeicher. Sofort deaktivierte ich ebenso die Mailbox und da ich nun schon so weit fortgeschritten war, außerdem die Rufnummernanzeige. Nach dieser Entrümpelungsaktion griff ich mir ein paar saubere Sachen, riss mir den lila Handtuchturban vom Kopf und kleidete mich an. Die Haare schlackerten wie abgeschreckte Spaghetti von meinem Kopf herunter. Wieso haben diese Frauen auf den Buchumschlägen eigentlich ohne Ausnahme so fantastische Haarmähnen?
Nach etlichen Kilo Volumenspray war auch meine Mähne einigermaßen brauchbar. Ich verließ die Wohnung und posierte vor der Tür meines Nachbarn, während ich zweimal klingelte. Langsam öffnete sich die Tür und Herr Luchterhand schaute mich mit kugelrunden Augen an. Er trug diesmal nur ein grau gestreiftes Herrenhemd ohne Weste und einer der Hemdzipfel hing aus dem Bund seiner schwarzen Stoffhose. An seinem Arm, den er an den Türrahmen gelehnt hatte, fiel mir eine goldfarbene Armbanduhr ins Auge.
„Ähm...“, begann ich, „ich war heute im Keller und da ist mir aufgefallen, dass Ihre Kellertür offen steht.“
Er starrte mich weiter an, als hätte er nichts gehört. Aus seiner Wohnung zog der Duft von brutzelnden Bratkartoffeln. Ich befürchtete, dass mein Magen gleich laut knurren würde.
„Ich dachte nur, weil da jeder rein kann. Ich habe gesehen,
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