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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Jagdszenen ab. Harmlose Passanten flohen vor wildgewordenen SA-Rabauken, die sie verfolgten und mit langen Stöcken auf sie einschlugen, bis sie am Boden lagen und bluteten. Die uniformierten Schläger schreckten nicht einmal davor zurück, Frauen zu schlagen und alte Männer.
    Marion hatte Probleme mit einem ihrer Schuhe und war etwas zurück geblieben, da hörte Rath sie schreien. Ein SA-Mann hielt sie an den Haaren fest und holte mit seinem Schlagstock aus. Goldstein griff schon nach seiner Waffe, da fuhr ein anderer SA-Mann seinem Kumpel in die Parade. »Lass die laufen, Mensch«, sagte er, beinah empört. »Die ist doch blond!«
    Und schon zogen die Männer weiter, auf der Suche nach neuen Opfern, dunkelhaarigen, vermeintlich nichtarischen. Rath überlegte, wie viele blonde Juden und schwarzhaarige Germanen heute unterwegs sein mochten. Hoffentlich viele. Diese dämlichen Rassisten!
    »Schlagt die Ju-den tot!«, hörte er sie irgendwo wieder rufen. Der blanke Sozialneid, gepaart mit Rassenhass, eine schlimme Mischung.
    Goldstein blieb erstaunlich ruhig.
    »Nehmen Sie so etwas nicht persönlich?«, fragte Rath den Ami.
    »Sehr sogar«, knurrte der. »Ich hoffe, Ihre Polizei kommt bald und sperrt diese Schreihälse ein.«
    »Vielleicht sollte ich einschreiten. Ich bin auch Polizei.«
    »Sind Sie wahnsinnig? Meinen Sie, Sie zeigen denen Ihre Dienstmarke und die trollen sich?«
    »Ich dachte eher an meine Walther«, meinte Rath.
    »Wenn Sie hier draußen auf der Straße eine Pistole ziehen, fürchte ich, gibt es ein Blutbad.«
    »Na, gleich werden die Kollegen hier sein«, sagte Rath, mehr um sich selbst zu beruhigen, »dann wird der Spuk schon aufhören.«
    Zwei Uniformierte waren sogar schon da, doch machten sie nicht den Eindruck, beherzt eingreifen zu wollen. Eher ängstlich zurückhaltend beobachteten sie das Treiben, verhielten sich in etwa so, als hätten sie sich versehentlich ins Schlesische Viertel verirrt und seien nun dem anarchischen Treiben von Kommunisten und Verbrecherbanden hilflos ausgeliefert. Nur war das hier nicht der Osten, das war der Kurfürstendamm. Hier kannte man so etwas nicht.
    Für Rath war es ein Schock, diese elegante, bürgerliche Gegend, für ihn immer ein Hort der Normalität in der wahnsinnigen Stadt, als Schauplatz solch massiver Straßenkrawalle zu erleben.
    Für die Passanten offensichtlich auch. Die meisten schienen nicht glauben zu können, was sie da sahen. Bis sie die Spitze eines dieser braunen Stiefel erwischte oder eine Faust in ihrem Gesicht landete, bis sie eine blutige Nase hatten oder gebrochene Rippen.
    Der Taxistand war verwaist. Die Taxifahrer hatten es offensichtlich vorgezogen, ihre wertvollen Karosserien zu schützen. Oder aber sie waren schon alle weg, in Beschlag genommen von flüchtenden Passanten. Es half nichts, sie mussten weiter. Marion war mit den Nerven fertig, sie hielt sich fortan dicht bei Goldstein. Ihre dämlichen hochhackigen Schuhe hatte sie ausgezogen und lief auf Strümpfen.
    Und dann sah Rath etwas, das er kaum glauben konnte. Und das den Eindruck eines spontanen sozialen Aufruhrs arbeitsloser junger Männer Lügen strafte. Das hier war keine kochende Volksseele, das war nicht einmal ein außer Kontrolle geratener SA-Haufen.
    Sie gingen systematisch vor.
    Vor einer Weile hatte Rath schon bemerkt, dass die SA-Männer sich Zeichen gaben, mit Pfiffen und Winken. Und nun hatte er die endgültige Bestätigung dafür, dass die Kommandeure hier ihre Truppen wie in einer Schlacht bewegten.
    Denn er sah den Wagen des Generals. Es wirkte beinahe unwirklich inmitten des ganzen Tumults. Ein offener Wagen fuhr den Ku’damm hinunter, einer mit Chauffeur. Auf dem Rücksitz saß ein Mann, der eine Marinemütze mit goldener Borte trug wie ein Admiral oder sonst ein hohes Tier, daneben ein SA-Offizier, der wirkte wie sein Adjutant. Der Mann mit der auffälligen Uniformmütze ließ den Wagen immer wieder anhalten, winkte hier einen Scharführer heran, dort einen Gruppenführer und erteilte ihnen Befehle.
    Rath versuchte, sich die Autonummer zu merken, dann hetzte er hinter Goldstein und dessen Freunden her und lotste sie in die U-Bahn hinunter. Er hoffte, dass die nicht zur Falle würde, und war beruhigt, als sie hier unten kein einziges Braunhemd erblickten. Alles wirkte normal. Wären nicht die gehetzten Gesichter auch der anderen Passanten gewesen, fast hätte man glauben können, das da oben sei nur ein böser Albtraum.
    Rath entschloss sich, Goldstein

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