Goldstein
Gegend, die Auswahl war groß. Er öffnete das Fenster, atmete die Charlottenburger Luft und fühlte sich plötzlich unendlich frei.
Als er auf die Straße trat, dämmerte es bereits. Vor der Synagoge in der Fasanenstraße hatten sich eine ganze Menge Menschen versammelt, festlich gekleidet, irgendein jüdischer Festtag schien auf dem Kalender zu stehen, Rath hatte keine Ahnung welcher.
Das Café Reimann war nicht gerade als Tanzdiele bekannt, aber selbst hier spielte um diese Uhrzeit eine Kapelle. Abraham Goldstein saß an seinem Tisch und hielt Hof, als sei er nicht nur Gast, sondern Besitzer des Lokals. Er stand auf, als er Rath entdeckte, und reichte ihm die Hand.
»Schön, dass Sie kommen konnten«, sagte er. »Ist vielleicht nicht der eleganteste Laden für eine kleine Abschiedsparty, aber das Café hier ist in den letzten Wochen so was wie mein Stammlokal geworden.«
»Mir geht’s weniger um die Party als darum, Sie auf dem sicheren Weg zurück in die Heimat zu wissen.«
Rath schaute sich um. An Goldsteins Tisch saßen noch weitere Menschen; zu seiner Linken Marion Bosetzky, ehemalige Nackttänzerin, ehemaliges Zimmermädchen, aktuell die Geliebte eines Gangsters. Sie grüßte mit einem kurzen Nicken.
Goldstein zeigte auf den Mann, der ihm gegenübersaß. »Darf ich vorstellen: Mister Salomon Epstein, ein alter Freund aus Brooklyn. Wir fahren gemeinsam nach Hause.«
Rath schüttelte die Hand des Mannes, der aussah wie ein Wissenschaftler, klapperdürr, Brille und schüttere Locken.
»Hatten Sie geschäftlich hier zu tun oder sind Sie Tourist?«, fragte Rath.
»Er versteht Sie nicht«, meinte Goldstein. »Seine Eltern haben kein Deutsch gesprochen, nicht einmal Jiddisch. Sie wollten einen guten Amerikaner aus ihm machen. Deswegen sitzen wir beide auch nicht in der Synagoge und feiern Rosch ha-Schana.«
»Rosch ha-was?«
»Das jüdische Neujahrsfest.«
»Prost Neujahr«, sagte Rath. »Dann lassen Sie uns stattdessen Ihren Abschied feiern.« Er setzte sich. »Wie kommt es, dass Sie nun doch noch nach Hause fahren? Eine Weile habe ich sogar befürchtet, Sie würden früher oder später die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.«
»Beinah«, sagte Goldstein. »Aber jetzt wird die liebe Marion die amerikanische beantragen.« Er lachte und zwinkerte ihr zu. »Wissen Sie was, Detective? Die Stadt hier ist eigentlich gar nicht so übel. Wenn auch verdammt verrückt. Aber trotz allem bin ich froh, wenn wir dieses Irrenhaus endlich hinter uns lassen, nicht wahr, Sally?«
Salomon Epstein, der Mann mit der Brille, lächelte weise, als er seinen Namen hörte. Er sprach tatsächlich kein Wort Deutsch und zog es vor zu schweigen.
»Sally haben Sie es zu verdanken, dass Sie mich wieder loswerden«, sagte Goldstein und tätschelte seinem Gegenüber die Hand. »Er ist gekommen, um mich heimzuholen.«
»You’re welcome«, grummelte Epstein in einem unerwartet tiefen Bass.
»Ist jedenfalls schön, Sie noch einmal zu sehen, Kommissar.« Goldstein grinste. »Hätte anfangs nicht gedacht, dass wir noch mal Freunde werden.«
» Freunde ist vielleicht auch ein wenig übertrieben«, sagte Rath. »Ich bin dienstlich hier. Um ganz sicherzugehen, dass Sie auch verschwinden.«
»Und ich dachte, Sie hätten eine bessere Meinung von mir.«
»Dass wir uns nicht missverstehen: Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet für Ihre Hilfe damals. Dass Sie sich haben festnehmen lassen.«
»Ich hatte Ihr Wort, dass Sie mich da wieder raushauen.« Goldstein zuckte die Achseln. »Und aus irgendeinem Grund habe ich Ihnen geglaubt. Ist ja auch noch mal gut gegangen.«
»Ich denke, der zweite Teil unserer Abmachung hat Sie mehr gereizt.«
»Die neue Geschäftsverbindung? Sie werden verstehen, dass ich darüber keine Einzelheiten verrate. Aber lukrativ ist es, da haben Sie recht. Vor allem, dass ich künftig nicht mehr für andere die Kohlen aus dem Feuer hole, sondern meine eigenen ins Feuer lege. Grüßen Sie Herrn Marlow von mir.«
»Bei Gelegenheit.« Rath zündete sich eine Zigarette an. »Aber trotz allem«, meinte er, »bin ich erleichtert, wenn sich mehrere Millionen Kubikkilometer Wasser zwischen uns befinden.«
»Darauf sollten wir anstoßen.« Goldstein füllte ein paar Champagnergläser. »Unser Schiff legt morgen früh ab.«
Rath hob sein Glas. »Darauf, dass Sie Ihren Zug nicht verpassen«, sagte er. »Und Ihren Dampfer.«
Die Männer tranken. Marion nippte nur.
Als die Musik eine kurze Pause machte, hörte
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