Goldstück: Roman (German Edition)
einen Hungerlohn Mädchen für alles spiele. Soll ich etwa in diesem Studio abhängen, bis ich die Rente durchhabe? Okay, ich hab mein Studium versiebt, aber um Sonnenbänke zu putzen, Seifen- und Papierständer aufzufüllen und Leute, die aussehen wie ein Albino, davon abzuhalten, dass sie sich vierzig Minuten lang unter den Turbo-Toaster legen – dafür bin ich dann irgendwie doch zu schlau. Denke ich jedenfalls.
»Sag mal, Roger«, beginne ich das Gespräch, das ich mir im Verlauf der letzten Stunde überlegt habe, als wir später am Tag allein im Studio sind. Nadine ist bereits zu ihrem Liebsten nach Hause geeilt, denn er hat immer um vier Schluss und erwartet seine Süße dann am heimischen Herd.
»Ja?«, fragt er, blickt von der Buchhaltung auf, in die er sich gerade vertieft hat, und dreht sich auf seinem Stuhl halb zu mir um. In der linken Ecke hinterm Tresen steht Rogers Schreibtisch, an dem er immer sitzt, wenn er sich nicht gerade bräunt oder unterwegs ist, um irgendwelche »wichtigen« Dinge zu erledigen.
»Ich wollte mit dir mal über was reden.«
Jetzt dreht Roger sich ganz zu mir um und mustert mich interessiert. »Das klingt ja sehr ernst.«
»Nein, nein«, beschwichtige ich ihn schnell, »ist nichts Schlimmes.«
Er sieht erleichtert aus. »Dachte schon, du wolltest kündigen.«
Würde ich auch am liebsten, denke ich. Aber noch kann ich mir das schlecht leisten. »Wie lange arbeite ich jetzt schon hier?«, frage ich ihn.
Er denkt einen Moment lang nach. »Fünf Jahre?«, schätzt er.
»Sechs«, erwidere ich.
»Richtig, sechs.«
»Und du bist immer zufrieden mit mir gewesen, oder?«, fahre ich fort.
»Klar«, bestätigt er. »Bis auf deinen Hang zur Unpünktlichkeit«, schränkt er dann ein.
»Na ja, es ist doch schon viel besser geworden. Seit ich nicht mehr zur Uni gehe, war ich kein einziges Mal mehr zu spät.« Was für ein Glück, dass er vorhin nicht hier war!
»Stimmt. Versteh ja sowieso nicht, warum eine Frau unbedingt studieren muss. Ich meine, ich hab ja nicht einmal Abitur und komme bestens klar.«
Kann ich mir vorstellen, schießt es mir durch den Kopf, so schlecht, wie du deine Aushilfen bezahlst! Und einen Großteil davon wahrscheinlich auch noch schwarz, was ich zwar nicht beweisen kann, aber dennoch stark vermute. Ich persönlich
hätte da ja schlaflose Nächte. Seit ich mal bei uns zu Hause miterleben durfte, wie die Steuerfahndung alles auf den Kopf gestellt hat – sie haben nichts gefunden, mein Vater war wohl von einem neidischen Kollegen zu Unrecht angeschwärzt worden –, habe ich einen Heidenrespekt vor der Staatsgewalt. Daran hat auch mein Jura-Studium nichts geändert. Wie auch? Ich bin schließlich durchgefallen. Aber natürlich sage ich in diesem Moment nichts über meine Vermutungen bezüglich Rogers Finanzstrategien, ebenso wenig wie zum Thema »Sollen Frauen studieren?«. Ich muss mich jetzt auf das Wesentliche konzen-trieren und sollte daher keine Grundsatzdiskussion mit meinem Chef anfangen, der »Feminismus« vermutlich für eine Damenbinde hält.
»Jedenfalls«, fahre ich fort, »frage ich mich, ob es nicht ein kleines bisschen ungerecht ist, dass ich genauso viel verdiene wie die anderen.« »Wenig« wäre das passendere Wort, aber ich will Roger ja nicht verärgern. Ohnehin runzelt er jetzt schon die Stirn.
»Ach, daher weht der Wind! Du willst mit mir über dein Gehalt verhandeln!«
»Na ja, was heißt hier ›verhandeln‹?« So, jetzt bloß diplomatisch bleiben, Maike! »Ich finde nur, dass ich nach so vielen Jahren und meiner guten Arbeit ein kleines bisschen mehr verdienen könnte.«
Ein nachdenklicher Ausdruck tritt auf Rogers Gesicht. »So«, erwidert er gedehnt, »findest du?«
Sofort bin ich verunsichert. »Äh, ja, schon, irgendwie«, bringe ich etwas zu kleinlaut hervor. Mist! Ich bin für solche Gespräche einfach nicht gemacht, vielleicht hätte ich das Ganze erst einmal in der Theorie mit Kiki durchspielen sollen, ehe ich die Dinge auf eigene Faust in Angriff nehme. Aber jetzt ist es natürlich sowieso schon zu spät, um meine Forderung wieder zurückzunehmen, also straffe ich die Schultern und füge hin
zu: »Ja, das finde ich eigentlich schon.« Prima, Maike, »eigentlich« – muss ich mich selbst unaufgefordert relativieren? »Was ich meine«, meine Stimme zittert leicht, »ich finde durchaus, dass ich mehr wert bin als das, was du mir zahlst.« HA! Sehr schön! Selbstbewusst und energisch, Kiki wäre stolz auf
Weitere Kostenlose Bücher