Goldstück: Roman (German Edition)
stattdessen rote Plastikspitzen auf die Nägel. Später wird sie das Ganze noch mit Gel überziehen und dann schnippeln, feilen und nachlackieren, die nächste Stunde ist sie wohl gut beschäftigt.
»Hi«, begrüße ich Babs, die wie immer bis über beide Ohren strahlt.
Ich kenne niemanden, der einen derartigen Optimismus ausstrahlt wie sie, nicht einmal Kiki. Ehrlich gesagt kenne ich auch niemanden, der die Segnungen der künstlichen Bräune so häufig in Anspruch nimmt wie Babs. Ihre Gesichtshaut erinnert – jetzt mal gemein formuliert – in der Oberflächenbeschaffenheit an eine Lederhandtasche. Klar, von genau solchen Kunden leben wir, aber da ich ja generell immer versucht bin, meinen Senf zur optischen Aufmachung anderer Menschen dazuzugeben, ist es bei Babs natürlich nicht anders.
»Ich würde gern für dreißig Minuten auf die fünf«, fordert sie fröhlich und legt sieben Euro auf den Tresen. Fünf neunundneunzig für bis zu zwanzig Minuten, die nächsten zehn Minuten nur ein Euro – mit diesem Angebot sind wir in diesem Viertel die Günstigsten.
»Warst du nicht gestern erst hier?«, frage ich.
»Ja«, antwortet sie und lacht. »Wir haben uns doch gesehen. Hast du seit neuestem Alzheimer?«
»Nein«, ich schüttele den Kopf. »Natürlich nicht. Die fünf also.« Ich nehme das Geld, lege es in die Kasse und will Babs einen Cent zurückgeben, was sie mit einem kichernden »Stimmt so« ablehnt. Dann stelle ich den Turbo-Toaster – so nennen wir unsere stärkste Bank intern – auf dreißig Minuten ein, Babs verschwindet in der Kabine.
»Mannomann«, raunt Nadine mir zu, sobald wir hören, dass die Bank angesprungen ist. »Wenn die so weitermacht, endet sie irgendwann als Schrumpfkopf.«
Ich muss prusten. »Roger hätte sicher nichts dagegen, sich da eine kleine Sammlung zuzulegen.«
»Habe ich da gerade meinen Namen gehört?«
Nadine und ich fahren erschrocken hoch, als die Stimme unseres Chefs erklingt. Er muss unbemerkt hereingekommen sein, als Nadine und ich kurz über Babs lästerten.
»Nein«, erwidert Nadine und lächelt ihn zuckersüß an. »War-um sollten wir uns auch über dich unterhalten?«
Roger wirft ihr einen irritierten Blick zu, der Schlagfertigste war er noch nie, und vermutlich grübelt er gerade darüber nach, ob das als Frechheit oder als Kompliment gemeint war.
»Äh, gut«, wechselt er das Thema. »Hier ist das neue Papier«, er deutet zu seinen Füßen, wo vermutlich die Handtücher stehen, die ich aber nicht sehen kann, weil der Tresen sie verdeckt. »Wie läuft es heute?«
»Ganz gut«, antworte ich, »seit zehn Uhr insgesamt gut zwanzig Leute, gerade ist Babs gekommen.«
»Ah!«, ein Strahlen tritt auf Rogers Gesicht. »Meine Lieblingskundin. Wenn doch nur alle so körperbewusst wären!«
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass die Tatsache, dass jemand seine eigene Haut wie ein Grillhähnchen behandelt, meiner Meinung nach eher das Gegenteil von »körperbewusst« ist. Damit wäre ich bei Roger sowieso an der falschen Adresse, denn nach Babs ist er selbst sein bester Kunde und daher – wenn überhaupt – nur eine Nuance heller als sie. Vermutlich der Grund dafür, dass er »Summer Island« eröffnet hat, mutmaße ich. Er wird sich irgendwann mal ausgerechnet haben, wie viel Geld er schon in Sonnenstudios gelassen hat, und dabei zu dem Schluss gekommen sein, dass er günstiger fährt, wenn er selbst so einen Laden aufmacht.
»Ist die drei besetzt?«, fragt er prompt und linst über den Tresen auf den Bildschirm.
»Nö, ist frei.«
»Dann tauch ich mal kurz für zwanzig Minuten ab.« Ich reiche ihm eine Schutzbrille.
»Viel Spaß!«
»Ach, Maike?«, ruft Roger noch, bevor er in der Kabine verschwindet. »Füllst du bitte die Spender mit den neuen Papierhandtüchern auf?«
»Sicher, Chef.« Ich stehe auf und mache mich an die Arbeit.
Die Zeiten, in denen ich mich darüber gewundert habe, dass Roger nie Nadine oder einer der anderen Aushilfen einen Auftrag ereilt, wenn ich im Studio bin, sind schon lange vorbei. Roger betrachtet mich als seine rechte Hand. Was einerseits ja sehr schmeichelhaft ist, sich andererseits aber leider, leider so gar nicht in meinem Verdienst niederschlägt.
Kiki hat recht, denke ich, als ich die Handtücher auf die Spender verteile, so kann es echt nicht weitergehen. Auch wenn ich momentan nicht wirklich andere Perspektiven habe, auf Dauer muss sich hier schleunigst was verändern. Kann doch nicht angehen, dass ich hier für
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